Lektionen aus der ersten COVID-19-Welle
Unmittelbare Erkenntnisse:
- Die Ansteckungsgefahr für das medizinische und pflegerische Personal müsse über die anlaufende Impfkampagne hinaus weiter minimiert werden.
- Die Versorgung der Patienten müsse regional koordiniert werden, indem schwere Fälle zentral in Zentren mit umfassender intensivmedizinischer Ausstattung versorgt würden, während leichte Fälle dezentral therapiert würden.
- Es brauche dafür weitere Transparenz über die zur Verfügung stehenden Versorgungskapazitäten.
- Die Testkapazitäten müssten weiter ausgebaut werden.
Weitere Erfordernisse:
- Die Digitalisierung des Gesundheitssektors müsse deutlich vorangetrieben werden. Hier sieht Prof. Augurzky vor allem Bedarf in der engen digitalen Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen und bei der regionalen Koordination und Kooperation.
- Dazu müssten Zielkonflikte zu anderen Gütern wie zum Beispiel dem Datenschutz neu bewertet werden.
- Das Vergütungssystem müsse die Vorhaltung von Kapazitäten generell und im Bereich der Intensivmedizin im Besonderen stärken.
Wirtschaftliche Auswirkungen der Pandemie und der Ersatzfinanzierung
Die erste Welle der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 habe in den Krankenhäusern einen Rückgang der stationären Fälle auf bis zu 60 Prozent des normalen Niveaus verursacht. Durch die unterschiedlichen staatlichen Stützungsmaßnahmen (zum Beispiel die Freihaltepauschalen) sei dennoch für das Jahr 2020 im Durchschnitt über alle Krankenhäuser mit stabilen Erlösen zu rechnen, erläuterte der auf den Fachbereich Gesundheit spezialisierte Wissenschaftler seinen Zuhörern. Auch die Fallzahl werde wieder anwachsen. Aus dem Durchschnittswert dürfe aber nicht der Schluss gezogen werden, dass alle Krankenhäuser das Jahr 2020 ohne wirtschaftliche Verluste abschlössen. Denn zum einen seien die Auswirkungen der zweiten Infektionswelle noch nicht abzusehen, zum anderen seien die einzelnen Krankenhäuser sehr unterschiedlich betroffen.
Die Freihaltepauschalen sollten Mindererlöse im Jahr 2020 beziehungsweise Mehrkosten in den Kliniken durch COVID-19 teilweise ausgleichen, sie waren zunächst zum 30. September 2020 ausgelaufen. Für manche Krankenhäuser wurden sie zuletzt wieder aktiviert. Zudem werden Mittel für eine „Digitalisierungsoffensive“ bereitgestellt. Bis zu 4,3 Milliarden Euro stehen für die Digitalisierung der Krankenhäuser bis zum 31. Dezember 2022 zur Verfügung. Gefördert werden Investitionen in moderne Notfallkapazitäten und vor allem bessere digitale Infrastruktur, sowohl innerhalb des stationären Sektors als auch sektorenübergreifend. Das Gesetz greife damit Schlussfolgerungen aus der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auf.
Für eine Förderung infrage kämen laut Prof. Augurzky zum Beispiel sektorenübergreifende telemedizinische Netzwerkstrukturen, ein digitales Medikationsmanagement oder die elektronische Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen. Aber auch Robotik und Hightechmedizin oder eine Digitalisierung der Ablauforganisation könnten gefördert werden. Wesentliches Ziel der Digitalisierungsbemühungen sei, regionale Versorgungsstrukturen zu stärken.
Herausforderungen jenseits von COVID-19 und wie man ihnen begegnet
Neben der Digitalisierung gehören für Prof. Augurzky die wachsende Verlagerung medizinischer Leistungen in ambulante Bereiche, der Fachkräftemangel und das Vorhalten von Kapazitäten für Katastrophen zu den Herausforderungen. Zu befürchten sei, dass die Regulierung des Gesundheitssystems weiter zunehme und unternehmerische Innovationskraft hemme. Dies sei in einer Zeit zunehmend knapper Ressourcen kontraproduktiv. Nicht zuletzt müsse die Vergütung sektorenübergreifend neugestaltet werden.
In der Folge sieht er Veränderungen in den Krankenhausstrukturen als ein Megathema an. Prof. Augurzky erwartet, dass die Zahl der Krankenhäuser um etwa 15 Prozent sinken wird. Der Gesetzgeber versuche bereits, den Strukturwandel in diese Richtung zu steuern. Trends wie Fachkräftemangel und Digitalisierung täten das Ihrige dazu. An dieser Entwicklung werde die COVID-19-Pandemie nicht viel ändern.
Denn, so Prof. Augurzky, die Zahl der potenziell für den Gesundheitssektor zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte werde abnehmen, weil mehr Menschen den Arbeitsmarkt verließen als hinzukämen. Die unterschiedlichen Schutz- und Stützungsmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie führten zudem zu einem enormen Druck auf die öffentliche Hand, Kosten zu sparen und Einnahmen zu erhöhen. Daher müsse im Gesundheitssystem über die einzelnen Sektoren hinweg nach Effizienzsteigerungen gesucht werden. Hier sieht er noch eine Menge ungenutztes Potenzial.
Ländliche Regionen seien künftig besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, denn kleine Krankenhäuser seien mit größeren wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Dazu gehörten überproportional schrumpfende Bevölkerungszahlen und ein deutlich stärkerer Fachkräftemangel, da die Ballungszentren eine Sogwirkung entwickelten.
Ein kleiner Krankenhausstandort müsse deshalb aber nicht zwangsläufig vollständig geschlossen werden, er könne genauso gut auch zu einem integrierten Gesundheitszentrum werden, das die fachärztliche Versorgung einer Region – sowohl ambulant als auch stationär – übernehme und telemedizinisch an einen Maximalversorger angeschlossen sei. Denkbar sei auch, sektorenübergreifende Budgets für die Gesundheitsversorgung einer Region zu definieren, um so patientenorientierte Angebote zu schaffen, die auf unterschiedliche lokale Bedürfnisse angepasst werden könnten.
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