Am Beispiel eines abgebrannten Kindergartens schildert Sven Reinisch, Mitarbeiter im Schadenaußendienst unserer Unternehmensgruppe, wie ein festgefahrener Versicherungsfall durch unsere Vermittlung wieder in Fahrt kam und beide Seiten, also Kindertagesstätte und Versicherer, sich einigen konnten.

„Feuer! In der Kita brennt es.“ Am Abend des 12. Dezember 2018 meldet ein Passant einen Brand in der Kindertagesstätte. Die Feuerwehr rückt mit etwa 100 Einsatzkräften aus. Aufgrund des Dämmmaterials in den Zwischendecken kann sie aber das Feuer nicht mehr löschen. Sie lässt das 40 Jahre alte Gebäude kontrolliert abbrennen.

Die Kriminalpolizei und der Brandursachen-Sachverständige des Instituts für Schadenverhütung und Schadenforschung suchen unabhängig voneinander nach der Brandursache. Eine eindeutige Ursache können sie nicht feststellen und vermuten einen Kurzschluss in der Deckenverkabelung als am wahrscheinlichsten.

Der Versicherer prüft, ob Brandmelder installiert waren und die jährlichen Elektroprüfungen (E-Checks) durchgeführt worden waren. Die Kita-Verantwortlichen legen die entsprechenden Nachweise vor, sodass der Versicherer den Versicherungsschutz dem Grunde nach bestätigt. Dem Grunde nach …
 

Die Kosten summieren sich

Die Betreuung der Kinder wird in den ersten Tagen nach dem Brand im Gemeindehaus der Kirchengemeinde, dem Träger der Kita, sichergestellt. Nach wenigen Tagen zeigen sich Kindertagesstätten aus Nachbarorten bereit, die Kinder aufzunehmen. Es wird eigens ein Shuttleservice eingerichtet. Bis zur Fertigstellung des Neubaus soll die Kita in einer Containeranlage untergebracht werden. Die Miete für die Anlage beläuft sich auf jährlich rund 360.000 Euro – ohne die Kosten für Auf- und Abbau der Containeranlage sowie die Herrichtung der Flächen und die Energieversorgung. Zur Begleichung dieser Kosten besteht im ersten Jahr eine sogenannte Mehrkostenversicherung.
 

Neuer Standort, größeres Haus

Parallel planen Kirchengemeinde und politische Gemeinde den Neubau des Kindergartens, vielleicht sogar an einem anderen Ort.

Zum „Standort“ sagt der Versicherungsvertrag: „Gebäude sollten in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederhergestellt werden; ist dies an der bisherigen Stelle rechtlich nicht möglich oder wirtschaftlich nicht zu vertreten, so genügt es, wenn das Gebäude an anderer Stelle innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wiederhergestellt wird.“ Um die Neuwertentschädigung zu erhalten, muss der Kindergarten art- und nutzungsgleich gebaut werden. Artgleich bedeutet: ein Gebäude in gleicher Größe; nutzungsgleich bedeutet: für die Nutzung als viergruppiger Kindergarten. Kirchengemeinde und politische Gemeinde erwägen, die Nutzung zu einer sechsgruppigen Kindertagesstätte zu erweitern. Dann allerdings müssen sie damit rechnen, nur den Zeitwert entschädigt zu bekommen.

Zunächst müssen die Kosten geklärt werden. In einem Beiratsverfahren (siehe unten) wird ein unabhängiger Sachverständiger eingesetzt. Er beziffert den Neuwert des abgebrannten Objekts mit 1,36 Millionen Euro und den Zeitwert mit rund 830.000 Euro. Das Problem: Würde der Kindergarten in gleicher Größe und Bausubstanz neugebaut (entspräche dem Neuwert), wäre keine Betriebserlaubnis für einen viergruppigen Kindergarten zu erwarten, da die Behörden inzwischen wesentlich größere Flächen für eine solche Einrichtungsgröße vorsehen. 

Der Kundenbetreuer unserer Unternehmensgruppe, der den Schadenfall von Anfang an begleitet, weist den Versicherer auf den Passus im Rahmenvertrag „Mehrkosten infolge behördlicher Auflagen, Preissteigerungen und Technologiefortschritt“ hin. Dort steht folgende Bestimmung: „Ist eine Wiederherstellung aus tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in gleicher, sondern nur noch in besserer Art und Güte möglich, so ist die nächst bessere und realisierbare Art und Güte zugrunde zu legen.“ Der zu ersetzende ortsübliche Neubauwert umfasse somit unvermeidliche Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen, in diesem Fall die Mehrkosten für einen größeren Neubau.
 

Unterschiedliche Einschätzungen

Daraufhin veranlasst der Versicherer eine weitere Kostenschätzung. Darin wird der Neuwert mit 1,91 Millionen Euro ermittelt. Die Kirchengemeinde beauftragt ihrerseits ein Architekturbüro mit einer Berechnung. Demnach lägen die Kosten für den Kindergarten bei etwa 3,1 Millionen Euro.

Es gibt weitere Probleme: Neben dieser unterschiedlichen Einschätzung besteht auch eine unterschiedliche Auffassung, ob der Kindergarten am neuen Standort überhaupt eingeschossig gebaut werden kann. Nach Auffassung der Kirchengemeinde ist auf dem Grundstück die einstöckige Bauweise nicht genehmigungsfähig, so dass die Mehrkosten für einen zweigeschossigen Bau bei der Schadenregulierung berücksichtigt werden müssen.

Dieser Auffassung schließt sich der Versicherer nicht an. Der Kunde steht somit vor der Wahl, das Gutachten des Versicherers anzuerkennen oder in das sogenannte Sachverständigenverfahren zu wechseln. Dabei benennen die Parteien jeweils einen Sachverständigen; diese beiden wiederum einigen sich auf einen dritten Sachverständigen als Obmann. Der entscheidet über die streitigen Punkte innerhalb der Grenzen, die die parteilichen Sachverständigen gezogen haben. Das Ergebnis ist dann bindend. Aufgrund der hohen finanziellen Differenz und der bindenden Wirkung bestehen beim Kunden Bedenken, in das Sachverständigenverfahren zu wechseln.
 

Vorschlag zur Güte

Unsere Schadenexperten vermitteln im Kundeninteresse ein weiteres Mal, und so kann der Kunde einen Sachverstän­digen seiner Wahl damit beauftragen, den Gebäudeschaden zu bewerten. Der Versicherer ist bereit, dafür die Kosten zu tragen.

Das beauftragte Sachverständigenbüro berechnet den Neuwertschaden – bei zweistöckiger Bauweise – auf 2,7 Millionen Euro. Der vom Versicherer eingesetzte Sachverständige schätzt die Kosten – ebenfalls bei zweistöckiger Bauweise – auf 2,2 Millionen Euro.

Auf Basis dieser Berechnungen einigen sich die Parteien auf eine vergleichsweise Regelung in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Darin inbegriffen ist die Zustimmung des Versicherers, dass auch ein Neubau für eine sechsgruppige Kita neuwertfähig ist.

Für Abbruch und Entsorgung des Brandschuttes entstehen zusätzliche Kosten von etwa 400.000 Euro. Auch diese sind über den Versicherungsvertrag abgedeckt.
 

Ende gut, alles gut

Beide Seiten können mit dem gefundenen Kompromiss gut leben. Ein Sachverständigenverfahren wäre sehr viel langwieriger und aufwändiger

geworden. Zudem besteht dabei immer die Gefahr, dass man im Streit auseinandergeht. Im Sinne einer langjährigen Geschäftsbeziehung jedoch sollten Versicherer und Versicherungsnehmer zu einer partnerschaftlichen Regulierung finden. Wir unterstützen unsere Kunden dabei gern, indem wir sie auf Augenhöhe mit der Assekuranz bringen.



Sven Reinisch
sven.reinisch@ecclesia.de


Beiratsverfahren

Bei großen oder nicht eindeutigen Sachschäden beauftragt eine der beteiligten Parteien – Versicherer oder Versicherungsnehmer – Sachverständige, um die Schadenursache und die Schadenhöhe zu ermitteln. In diesem sogenannten Berater- oder Beiratsverfahren soll der Sach­verständige dann sowohl die Interessen des Versicherers als auch des Versicherungsnehmers vertreten, so dass man zu einer einvernehmlichen Regulierung kommt.