Heute im Blick: Behandlungsverzögerung in der Not­aufnahme bei linksthorakaler Beschwerdesymptomatik 

Der Fall: Ein Patient begibt sich mit einer neu aufgetretenen linksthorakalen Beschwerdesymptomatik gegen 4:15 Uhr in die Zentrale Notaufnahme. Eine erste dokumentierte ärztliche Untersuchung erfolgt um 5:40 Uhr. Laut ärztlicher Stellungnahme findet der tatsächliche Erstkontakt ungefähr 30 bis 45 Minuten vor der Dokumentation statt, das heißt zwischen 4:55 Uhr und 5:10 Uhr.

Nach ersten Untersuchungen werden infarkttypische EKG-Veränderungen sowie ein laborchemisch nachgewiesener Troponin T-Anstieg festgestellt. Daraufhin wird der Patient unter dem klinisch gesicherten Bild eines STEMI1 gegen 10:10 Uhr zur invasiven Diagnostik und Therapie in ein anderes Krankenhaus verlegt.

Eine direkt nach Verlegung durchgeführte Koronarangiografie ergibt als Hauptbefund eine interventionsbedürftige koronare Zweigefäßerkrankung. Diese wird durch eine Rekanalisation und mehrere Stent-Implantationen behandelt.
 

Einschätzung des MDK

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) fertigt zu dem vorliegenden Fall ein Gutachten an, in dem er die Lage anders einschätzt und dem zuständigen Krankenhaus vorwirft, durch falsche Handlungen die medizinische Behandlung des Patienten verzögert zu haben. Zum einen liegt laut MDK eine fehlerhafte Erstbehandlung vor. Der Erst­kontakt mit dem diensthabenden Arzt ist für den MDK erst um 5:40 Uhr erfolgt, anderthalb Stunden nach dem Eintreffen des Patienten in der Zentralen Notaufnahme.

Zum anderen sei der Ablauf der Kontrolle des Troponin T-Wertes nicht leitlinienkonform eingehalten worden. Um 4:45 Uhr, so beschreibt der MDK, sei die erste Blutentnahme zur Überprüfung des internistischen Routineprofils als auch der kardialen Ischämieparameter durchgeführt worden. Ein deutlich erhöhter Troponin T-Wert wurde als Hauptbefund festgestellt – das Labor empfahl deshalb eine Kontrolluntersuchung des Troponin T nach einer Stunde. Erst um 10:10 Uhr wurde der Patient notfallmäßig in ein anderes Krankenhaus verlegt. Wäre die Kontrolle des Wertes leitlinienkonform erfolgt, hätte die Verlegung des Patienten jedoch bereits gegen 7 Uhr – drei Stunden früher – stattfinden können.

Der MDK leitet aus diesem vermeidbaren Zeitverzug einen Schmerzensgeldanspruch ab.
 

Maßnahmen zur Prävention:

1. Die Ersteinschätzung von Patienten in der Notaufnahme erfolgt unmittelbar nach deren Eintreffen durch Mitarbeitende mit spezieller Fachkompetenz und praktischer Erfahrung.

2. Aus der Ersteinschätzung erfolgt eine Eingruppierung in Dringlichkeitsstufen. Die Behandlungsprioritäten werden nachvollziehbar festgelegt (zum Beispiel mittels Manchester-Triage-System, Emergency Severity Index).

3. Die Ergebnisse der Ersteinschätzung werden zusammen mit den daraus abgeleiteten Erstmaßnahmen in einer gut strukturierten Dokumentationsvorgabe notiert. Eine eindeutige Priorisierung der Patienten ist ersichtlich.

4. Internistische Notfälle (zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall, Blutung und andere) werden zeitnah nach anerkannten medizinischen Vorgaben zur Diagnostik und Behandlung versorgt. Es liegen dokumentierte Handlungsempfehlungen vor.

5. Es sind Regeln für die Hinzuziehung von Ärztinnen und Ärzten der eigenen und anderen Fachabteilungen festgelegt.

6. Der Facharztstandard ist bei der Versorgung von Patienten in der Notaufnahme rund um die Uhr gewährleistet.

7. Verzögert sich die Behandlung eines Patienten, werden die erforderlichen Überwachungsmaßnahmen während der Wartezeit protokolliert.

8. Es finden regelmäßige Fallbesprechungen statt, in denen vorab definierte Behandlungsergebnisse reflektiert werden (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen).
 

Ergänzung:

  • Jeder Arztkontakt ist nachvollziehbar zu erfassen (Datum, Uhrzeit, Handzeichen, Maßnahmen).
  • Es liegt eine Verfahrensanweisung vor, welche die Indikation und den Zeitpunkt einer Verlegung in ein anderes Krankenhaus vorgibt. Es ist definiert, wer eine Verlegungsentscheidung treffen darf.
  • Das Vorgehen bei einer Verlegung erfolgt nach festgelegten Kriterien. Geregelt sind unter anderem die Zuständigkeiten verschiedener Prozessabläufe (zum Beispiel: Wer kümmert sich um die Zusammenstellung von Befunden? Wer bestellt den Patiententransport? etc.).

Matthias Gedeon
Nicole Manig-Kurth

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1 STEMI: ST-elevation myocardial infarction, ein Herzinfarkt mit einer ST-Streckenhebung im Elektrokardiogramm (EKG).