Ältere Gebäude – viele Kirchen zählen dazu – müssen regelmäßig auf ihre Sicherheit kontrolliert werden. Die wichtigste Frage dabei: Besteht die Gefahr, dass sich Teile des Gebäudes lösen und Personen oder Sachen Dritter beschädigen? Hierzu gibt es gesetzliche Regelungen. Jana Diemert erläutert anhand eines konkreten Falls in Süddeutschland, wie die Verkehrssicherungspflichten einer Kirchengemeinde aussehen. Sie ist Fachwirtin für Versicherungen und Finanzen in der Abteilung für Kirchenschäden unserer Unternehmensgruppe.

Der Fall

Während eines Sturms lösen sich mehrere Dachziegel von einer Kirche und beschädigen das Fahrzeug einer Anwohnerin. Sachschaden: 6.600 Euro. Die Kaskoversicherung der Anwohnerin gleicht den Schaden aus und fordert den Betrag danach von der Kirchengemeinde zurück.

Die Kirchengemeinde beziehungs­weise deren Haftpflichtversicherung lehnt die Schadenersatzansprüche ab. Begründung: Es handele sich um ein außergewöhnliches Naturereignis (höhere Gewalt), und eine unverhältnismäßig teure Dachbegehung wäre nicht zumutbar gewesen. Der anschließende Rechtsstreit verläuft über zwei Instanzen.
 

Das Urteil

Das rechtskräftige Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart lautet: Ein außergewöhnliches Naturereignis hat nicht vorgelegen.1 Das Gericht stellt zudem fest, dass besonders bei älteren Gebäuden ein erhöhter Wartungs- und Prüfaufwand aufgrund erhöhter Schadenanfälligkeit erforderlich ist.
 

Beweis des ersten Anscheins

Die Haftung für Schäden durch Ablösung von Gebäudeteilen gilt laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) als Sonderfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten (§ 836 BGB). Lösen sich Teile vom Gebäude durch heftige Stürme (ab Windstärke 10) ab, spricht der erste Anschein dafür, dass dies die Folge einer fehlerhaften Errichtung und/oder mangelhaften Unterhaltung des Gebäudes ist.

Der Beweis des ersten Anscheins ist eine typisierte Form des Indizienbeweises. Er greift in aller Regel bei „typischen Geschehensabläufen“. Dies ist nach herrschender Meinung immer dann der Fall, wenn ein bestimmtes Ereignis – nach der Lebenserfahrung – typischerweise auf eine ganz bestimmte Ursache zurückzuführen ist.

Ein Verkehrssicherungspflichtiger, zum Beispiel die Kirchengemeinde, kann einen Beweis des ersten Anscheins erschüttern, aber das ist nicht leicht, es werden hohe Anforderungen an die Erschütterung und damit die Entlastung des Verkehrssicherungspflichtigen gestellt. Damit Sie als Kirchengemeinde nicht in langwierige Rechtsstreitigkeiten geraten, empfehlen wir, dass Sie Ihrer Verkehrssicherungspflicht frühzeitig nachkommen.

Zu Ihren Verkehrssicherungspflichten, zur Schadenverhütung und auch zum geeigneten Versicherungsschutz informieren wir Sie gern.
 

Verkehrssicherungspflicht: kontrollieren und überwachen

Der Verkehrssicherungspflichtige muss alle zumutbaren Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen treffen, die aus technischer Sicht geeignet und geboten sind, um der Gefahr einer Ablösung von Gebäudeteilen rechtzeitig zu begegnen.2 Die Kontrolle durch einen zuverlässigen Fachkundigen muss in der Regel einmal jährlich erfolgen, selbst wenn damit hohe Kosten verbunden sind.

In die Betrachtung müssen auch erhebliche Sturmstärken einbezogen werden. Ein orkanartiger Sturm (Windstärke 11) stellt heutzutage kein außergewöhnliches Naturereignis mehr dar. Ein Bauwerk muss bei fehlerloser Errichtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung solchen Einflüssen standhalten. Dies hat das OLG Stuttgart mit seinem Urteil vom 23.11.2016 erneut bestätigt.
 

Kontrollen dokumentieren

Um die Kontrollen – gegebenenfalls vor Gericht – nachweisen zu können, sollten sie umfassend dokumentiert werden. Notieren Sie den Zeitpunkt der Kontrolle, die durchgeführten Arbeiten sowie die Qualifikation der prüfenden Person.

Reine Sichtkontrollen vom Boden reichen meistens nicht aus. Gerade bei Kirchengebäuden stellen sich besondere Herausforderungen, um zum Beispiel das Dach des Kirchturms ausreichend zu begutachten. Erste Erfahrungen zeigen, dass durch den Einsatz von Drohnen hochauflösende Fotos erstellt werden können. Solche Fotos sind gut geeignet, um den Zustand des Daches, der Fassaden etc. zu beurteilen. Hohe Kosten für Hubsteiger oder Gerüste entfallen.

Der Einsatz einer Drohne eignet sich auch für die Kontrolle von Bäumen mit hohen Ästen oder ausladenden Kronen. Die Bäume sollten zweimal jährlich – einmal im unbelaubten und einmal im belaubten Zustand – kontrolliert werden.
 

Drohnenflüge: hilfreich, aber kein Kinderspiel

Aber Achtung: Drohnenflüge sind kein Kinderspiel. Sie erfordern je nach Landessatzung mindestens Fachkunde, wenn nicht sogar einen Führerschein. Viele weitere Vorschriften sind zu beachten. Vor dem Einsatz einer Drohne prüfen Sie bitte den Versicherungsschutz. Denn Drohnen gelten als Luftfahrzeuge und unterliegen der Versicherungspflicht. Bei Bedarf beraten wir Sie gerne. Alternativ können Sie einen Dienstleister bestellen, der professionell Drohnenflüge anbietet.

Hilfreiche Tipps zum Thema Schadenprävention erhalten Sie in unserer Broschüre „Schadenprävention in Kirche und kirchlichen Einrichtungen“, die wir Ihnen gerne zusenden. Oder Sie fordern die Publikation als beschreibbares PDF unter der E-Mail-Adresse kirche@ecclesia-gruppe.de an.

Jana Diemert
jana.diemert@ecclesia-gruppe.de
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Urteil des OLG Stuttgart vom 23.11.2016, 4 U 97/16.
Bundesgerichtshof VersR 1993, 759=NJW 1993,1782.