Die Personalnot in der Alten- und Krankenpflege ist spätestens seit dem jüngsten Bundestagswahlkampf in aller Munde. Eine unzureichende Pflegepersonalausstattung erhöht das Risiko für alle Beteiligten im pflegerischen Alltag. Die Politik möchte dem unter anderem durch die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen begegnen. Welche Auswirkungen dies auf das Haftungsrisiko des Krankenhauses hat, stellt Johannes Jaklin, Fachanwalt für Medizinrecht, hier dar.

Schon lange wird über das Thema Personaluntergrenzen diskutiert. Nun sind genau diese seit Jahresbeginn für die Krankenhäuser verpflichtend. Damit stellen sich folgende Fragen: Reduzieren die Pflegepersonaluntergrenzen das Haftungsrisiko, weil sie die Sicherheit erhöhen? Oder ist es andersherum: Führen die strengen und sehr konkreten Vorgaben eher zu einer Erhöhung des Haftungsrisikos?

Patientenschutz sichern, Versorgungsqualität erhöhen

Ausgangspunkt ist die am 24. Juli 2017 in Kraft getretene Vorschrift des § 137i im Sozialgesetzbuch V (SGB V). Darin verpflichtet der Gesetzgeber die Selbstverwaltung, verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche im Krankenhaus festzulegen. Ziel ist die Sicherung des Patientenschutzes und eine Erhöhung der Versorgungsqualität.

Der Rahmen für die Verhandlungen zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen war vorgegeben. Die Vereinbarung sollte enthalten:

  • die Festlegung von Verhältniszahlen, die das Mindestverhältnis Pflegekraft pro Patient abbilden;
  •  die Darstellung von Ausnahmetatbeständen und Übergangsregelungen;
  • die Anforderungen an die Dokumentation, um die Einhaltung der Vorgaben überprüfen zu können, und letztlich
  • die Ausgestaltung von Vergütungsabschlägen.

Bis zum 30. Juni 2018 sollte die Vereinbarung vorliegen. Die Verhandlungspartner verständigten sich aber nicht auf ein gemeinsames Ergebnis. Deshalb hat das Bundesgesundheitsministerium am 5. Oktober 2018 als Ersatzvornahme die „Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäusern“ (PpUGV) erlassen.1

Untergrenzen gibt es vorerst in vier Fachbereichen

Damit gelten nun Personaluntergrenzen für die Bereiche Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie, die als maximale Anzahl von Patienten pro Pflegekraft definiert sind. Dabei wird zwischen Tag- und Nachtschichten unterschieden. Dies führt zu Verhältniszahlen von beispielsweise 2,5 Patienten pro Pflegekraft in einer Tagschicht der Intensivmedizin bis zu 24 Patienten pro Pflegekraft in einer Nachtschicht der Kardiologie. Es wird auch festgelegt, wie hoch maximal der Anteil von Pflegehilfskräften sein darf.

Ergibt sich aus den monatlichen Durchschnittswerten, dass die Untergrenzen nicht eingehalten worden sind, müssen die Krankenhäuser Vergütungsabschläge hinnehmen – allerdings nicht für den Zeitraum bis zum 31. März 2019. Ausnahmen gelten bei kurzfristigen krankheitsbedingten Personalausfällen, die in ihrem Ausmaß über das übliche Maß hinausgehen. Sie gelten auch bei stark erhöhten Patientenzahlen, wie beispielsweise bei Epidemien oder Großschadenereignissen.

Mittelbar könnten diese Vorgaben zu einer Reduktion des Haftungsrisikos des Krankenhauses führen. Wird die Patientensicherheit erhöht, gibt es weniger unerwünschte Ereignisse für die Patienten, wie sie beispielsweise Medikamentenverwechslungen darstellen. Das wiederum kann ein geringeres Haftungsrisiko mit sich bringen. Dies setzt aber voraus, dass die angestrebten Ziele mit Hilfe der Personaluntergrenzen auch erreicht werden. Es besteht durchaus Anlass, das mit einer gewissen Skepsis zu betrachten.

Gefahr: Personal wird woanders abgezogen

Zumindest in diesem Jahr wird es nur für vier Bereiche Untergrenzen im Krankenhaus geben. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Anforderungen erfüllt werden, indem Personal aus anderen Abteilungen abgezogen wird, die nicht diesen Grenzwerten unterliegen. Die Verbesserung auf der einen Seite würde in dem Fall mit einer Verschlechterung auf der anderen erkauft. Diese Problematik dürfte jedoch spätestens dann beseitigt sein, wenn der geplante „Ganzhausansatz“ umgesetzt wird. Dazu wird zukünftig das Verhältnis von eingesetztem Pflegepersonal zum individuellen Pflegeaufwand eines ganzen Krankenhauses ermittelt. Damit gilt dann eine Untergrenze für das gesamte Krankenhaus. Die Gefahr des Leerlaufens oder gar einer Verschlechterung der Situation bestünde auch dann, würde man die Pflegepersonaluntergrenzen als Maßstab für eine gute und sachgerechte Personalausstattung ansehen. Dies sind sie ausdrücklich nicht. Sie stellen lediglich den Mindeststandard dar und beschreiben als „rote Linie“ das Versorgungsniveau, unter dem in keinem Fall mehr von einer tolerablen Patientenversorgung gesprochen werden kann.

Untergrenze könnte falsch verstanden werden

Der tatsächliche Personalbedarf kann also sehr wohl oberhalb der Untergrenzen liegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch die neuen Vorgaben die Verhandlungen mit dem Vorstand des Krankenhauses über eine Personalstärke, die über den Mindeststandard hinausgeht, erschwert werden.

Ist für ein Krankenhaus absehbar, dass es die geforderte Pflegepersonalstärke nicht erreicht, wird es nach Wegen suchen, einem Vergütungsabschlag zuentgehen. Eine Lösung kann in einer Verringerung der Patientenzahlen liegen, etwa durch Bettenabbau oder Abmeldung einer ganzen Station. Wenn aber dadurch eine notwendige medizinische Versorgung nicht mehr in dem erforderlichen Umfang bereitgestellt wird, konterkariert diese Leistungsreduktion das Ziel einer höheren Versorgungsqualität.

Geld wäre da, aber es fehlt an Leuten

Nicht das Geld wird bei der Umsetzung des Gesetzes die größten Probleme bereiten. Denn im PflegepersonalStärkungsgesetz (PpSG) ist die Refinanzierung zusätzlicher Pflegestellen vorgesehen. Vielmehr ist der größte Hemmschuh, dass das Pflegepersonal schlicht nicht in der erforderlichen Anzahl zur Verfügung steht. Bei bestem Willen zur Einhaltung der Vorgaben markiert der Personalmangel die Grenzen der Umsetzbarkeit.

Nur wenn man die vorstehenden Probleme löst, ergibt sich durch ein angemessenes Verhältnis von Aufgaben der Pflege auf der einen Seite und Anzahl der Pflegekräfte auf der anderen Seite die Chance, die Patientensicherheit zu erhöhen, die Versorgungsqualität zu verbessern und letztlich das Haftungsrisiko zu reduzieren.

Zu wenig Personal erhöht die Haftungsrisiken

Bei alledem darf ein weiterer Aspekt nicht außer Betracht gelassen werden. Jeder Pflicht eines Krankenhauses steht ein Haftungsrisiko gegenüber, weil die Gefahr besteht, dieser Pflicht nicht gerecht zu werden beziehungsweise gegen eine solche zu verstoßen.

Die allgemeine Pflicht eines Krankenhausträgers, organisatorisch dafür Sorge zu tragen, dass in jedem Fall eine ordnungsgemäße medizinische Behandlung gewährleistet ist, lässt sich weiter konkretisieren. Demnach muss Personal zu jeder Zeit in ausreichender Anzahl und Qualifikation zur Verfügung stehen. Das gilt für den Tagesbetrieb ebenso wie für Nacht- und Wochenendzeiten. Zur Verdeutlichung des sich daraus ergebenden Haftungsrisikos sei auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg verwiesen.2 Nach natürlicher Geburt und einem PHWert von 7,08 wurde ein Neugeborenes auf die Station verlegt. Dort lag es in einem Wärmebettchen mit Sauerstoffzufuhr und einer Überwachung mittels Pulsoximeter. In der Nacht war die Wöchnerinnenstation inklusive Säuglingszimmer lediglich mit einer Krankenschwester besetzt. Mehrfach war das Kind blau angelaufen. Als es im Weiteren zu einem Krampfanfall kam, wurde das Kind verlegt; das konnte eine dauerhafte Schädigung jedoch nicht verhindern.

Im Ergebnis wurde das Krankenhaus wegen eines Organisationsverschuldens zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt. Basierend auf den Angaben des Sachverständigen hat das Gericht ausgeführt, dass es unabhängig vom mangelnden Ausbildungs- und Kenntnisstand der Schwester unzureichend gewesen sei, nur eine Schwester zur Überwachung der gesamten Station einschließlich des Säuglingszimmers einzusetzen. Die mangelnde Personalausstattung wurde sogar als ein grober Organisationsfehler bewertet.

Klare Vorgaben erleichtern gerichtliche Überprüfung

Entsprechende Urteile, die auf einer Feststellung eines unzureichenden Verhältnisses von Pflegekraft zu Anzahl der Patienten beruhen, sind in der Vergangenheit jedoch selten gewesen. Dies mag ganz wesentlich daran liegen, dass eine solche Feststellung mangels klarer Vorgaben hinsichtlich der Personalbesetzung für das Gericht sehr schwer war. Mit den Pflegepersonaluntergrenzen wird diese Lücke – zum Teil geschlossen. Für jeden Bereich, für den Untergrenzen festgelegt sind, gibt es nun sehr konkrete Verhältniszahlen, was die Überprüfung einer ausreichenden Personalausstattung auch für ein Gericht deutlich erleichtert. Es steht zu befürchten, dass deshalb eine Haftung aus Organisationsverschulden häufiger festgestellt werden wird.

Es lässt sich festhalten, dass allein mit der Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen die damit angestrebten Ziele noch nicht erreicht werden. Um die Patientensicherheit zu erhöhen und damit mittelbar das Haftungsrisiko zu verringern, besteht weiterer Handlungsbedarf. Für Krankenhäuser bleibt in jedem Fall die Gefahr, durch nun konkretisierte Vorgaben zur Personalausstattung vermehrt einem Organisationsverschulden zu unterliegen.

Johannes Jaklin
johannes.jaklin@ecclesia-gruppe.de


1 Bundesgesetzblatt 2018 Teil I Nr. 34, Seite 1632 ff.
2 OLG Nürnberg, Urteil vom 25. März 2011, AZ: 5 U 1786/10