Das Oberlandesgericht Köln hat sich mit der Frage beschäftigt, wie weit ein US-amerikanisches Konzept zur Versorgung Schwerverletzter die Beurteilung von Befunderhebungsfehlern beeinflussen kann. Miriam Stüldt-Borsetzky aus unserer Unternehmensgruppe, Fachanwältin für Medizinrecht, berichtet über den Ausgang des Verfahrens.

Im Alltag vieler deutscher Kliniken stellt das ATLS-Protokoll (Advanced Trauma Life Support) eine Grundlage für die Festlegung der notwendigen Diagnostik bei Schwerverletzten dar. Mit diesem Konzept werden Überlegungen zum Zustand des Traumapatienten, zu seiner Behandlung und der Entscheidung, ob die eigenen Ressourcen ausreichen oder eine Verlegung zu erwägen ist, unterstützt.

Vor Gericht wurde nun der Vorwurf erhoben, dass dieses US-amerikanische Ausbildungskonzept nicht dazu geeignet sei, den an deutschen Leitlinien orientierten medizinischen Standard zu definieren.

Bei der dem Gerichtsverfahren zur Prüfung vorliegenden Behandlung einer Patientin mit Mehrfachtraumata sei eine radiologische Untersuchung der Halswirbelsäule, etwa im Wege einer CT-Untersuchung des Schädels oder einer Ganzkörper-CT, erforderlich gewesen. Laut ATLS-Protokoll werde eine CT-Untersuchung des Schädels jedoch nur unter bestimmten – hier aber nicht gegebenen – Voraussetzungen gefordert. Die anwaltlich vertretene Patientenseite berief sich deshalb auf die S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“, die ein zeitnahes Ganzkörper-CT mit Trauma-spezifischem Protokoll empfiehlt. Dass diese Untersuchung nicht stattgefunden hatte, wertete sie als Befunderhebungsfehler.

Diese These verneinte das Oberlandesgericht (OLG) Köln in seinem Beschluss vom 22.01.2018 (I-5 U 101/17).

In seiner Entscheidung stellte das Gericht zum einen klar, dass das ATLS-Protokoll die wesentlichen Behandlungsprinzipien für die Kliniken in Deutschland enthalte, die in den Traumanetzwerken der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie organisiert seien. Die Richter betonten, dass „einzelne kritische Stimmen nichts darüber aussagen müssten, ob ein bestimmtes Vorgehen dem fachärztlichen Standard widerspreche“ und sahen in der Anwendung dieses Schockraummanagements eine wichtige Grundlage.

Zum anderen verwies das OLG darauf, dass die zitierte Leitlinie, auf die sich die Patientenseite berufen hatte, zum Zeitpunkt der Behandlung im Jahr 2014 noch nicht in der Form existierte. Denn die Leitlinie wurde im Jahr 2016 überarbeitet und hatte so für die Bestimmung des medizinischen Standards im maßgeblichen Zeitraum keine Relevanz. In der alten Version gab es die zitierte Empfehlung noch nicht.

Die Entscheidung zeigt, dass die Heranziehung ausländischer Konzepte nicht nachteilig ist – sie sind aber auch nicht allein dazu geeignet, den medizinischen Standard zu definieren. Deutsche Leitlinien bleiben nach wie vor unerlässlich und werden, gerade wenn es um den Vorwurf eines Behandlungsfehlers geht, eine maßgebliche Bedeutung behalten. Eine an den Leitlinien orientierte Dokumentation ist daher anzuraten.



Miriam Stüldt-Borsetzky
miriam.stueldt-borsetzky@egas.de