Der „Kongress Christlicher Krankenhäuser in Mitteldeutschland“ hat sich mit dem Thema  „Digitalisierung ethisch gestalten“ beschäftigt. Dr. Ralph Charbonnier hielt das Einführungsreferat zum Thema. Wir stellten ihm fünf Fragen.

Digitalisierte Prozesse gibt es im Krankenhausalltag in den verschiedensten Bereichen: bei der Anmeldung, der elektronischen Verwaltung, die Diagnose wird per Algorithmen unterstützt, Computer-Tomografien liefern dreidimensionale Röntgenbilder, die Medikation erfolgt computerberechnet, Arztberichte für den Hausarzt oder die Hausärztin werden gescannt und verschickt usw. An vieles haben wir uns längst gewöhnt. Manche Neuerungen werden gerade erprobt: die digitale Gesundheitskarte und die digitalisierte Patientenakte, intelligente Assistenzsysteme für Operationen, Medical Apps oder auch computerunterstützte Medizinforschung.

Nicht jeder hat ein durchweg positives Gefühl beim Voranschreiten der Digitalisierung. Welche Vorbehalte gibt es bei Patientinnen und Patienten, welche auf der ärztlichen Seite?

Dr. Ralph Charbonnier: Patientinnen und Patienten wünschen sich, persönlich angesprochen zu werden, von Mensch zu Mensch. Schon Telemedizin rückt die Ärztinnen und Ärzte gefühlt weiter weg. Die Vision von Pflegerobotern lässt die Medizin noch unmenschlicher erscheinen.

Viele Ärztinnen und Ärzte sind technikaffin. Sie sehen vorrangig die Chancen digitaler Unterstützung. Bedenken äußern sie, wenn mittels digitaler Algorithmen Diagnosen gestellt oder Therapievorschläge gemacht werden und sie in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden.
 

Was ist die Grundfrage beim Thema digitalisierte Medizin? Ist es – wie so oft – die Frage: Dürfen wir alles, was wir können?

Dr. Ralph Charbonnier: Die Grundfrage lautet: Dienen digitale Instrumente den Zielen der Medizin – Gesundheitsprävention, Heilung, Rehabilitation und Palliation? Umgekehrt: Digitale Medizin wird zum Problem, wenn sie die Aufmerksamkeit der Ärztinnen und Ärzte sowie der Pflegenden von den Patientinnen und Patienten ablenkt oder wenn sie die Beziehung zwischen Patientin oder Patient und dem Gegenüber in Pflege oder Medizin technisch werden lässt oder gar ersetzt.
 

Sehen Sie Unterschiede von konfessionellen und nicht konfessionellen Krankenhäusern bei der Digitalisierung?

Dr. Ralph Charbonnier: Alle Krankenhäuser stehen vor der Aufgabe, den Einsatz digitaler Instrumente medizinisch und ethisch zu verantworten. Konfessionelle Krankenhäuser tun dies aus dem Verständnis heraus, dass Medizin und Pflege fachlich exzellent sein müssen, immer aber eingebettet sind in eine empathische Beziehung zwischen Patient/-in und Mitarbeitenden aus Medizin und Pflege. Technik darf in der Kultur konfessioneller Häuser nie Selbstzweck sein oder den Charakter von Heilsversprechen annehmen. Die Grenzen menschlicher Möglichkeiten müssen präsent bleiben. Das Unverfügbare sollte als solches erkennbar bleiben und nicht durch falsche Versprechen verdeckt werden.
 

Beobachten Sie, dass Krankenhäuser bei der Entscheidung für die eine oder andere digitale Entwicklung in einen Konflikt geraten zwischen ethischen Überlegungen und ökonomischen Notwendigkeiten?

Dr. Ralph Charbonnier: Konflikte können sich ergeben, wenn technische Lösungen ökonomisch effizienter sind als der Einsatz von Personal. Nichts kann Menschen in ihrer Empathiefähigkeit, in ihrer individuellen Auffassungsgabe, in ihrem Vermögen zu trösten, Mut zu machen oder auch ein Gebet gen Himmel zu schicken, ersetzen.
 

Der Kongress hat getagt, Referate und Diskussionen haben Erkenntnisse gebracht. Was ist Ihre Empfehlung, wohin sollten sich Krankenhäuser orientieren?

Dr. Ralph Charbonnier: Krankenhäuser – gerade auch konfessionelle Krankenhäuser – sollten ihre reiche ethische und seelsorgliche Erfahrung nutzen, um Digitalisierungsschritte wohlwollend kritisch zu prüfen und verantwortlich einzusetzen.

Die Fragen stellte Antje Borchers aus der Unternehmenskommunikation.
antje.borchers@ecclesia-gruppe.de
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Zur Person:

Dr. Ralph Charbonnier ist Oberkirchenrat im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover und leitet das Referat Sozial- und Gesellschaftspolitik. Der 57-Jährige ist promovierter Theologe und diplomierter Maschinenbauingenieur.