Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Frage befasst, wie genau medizinische Risiken in einem Aufklärungsgespräch gegenüber dem Patienten beschrieben werden müssen. Johannes Jaklin erläutert das Urteil. Er ist Fachanwalt für Medizinrecht in unserer Unternehmensgruppe.

Es stellt für die Ärzteschaft immer wieder eine große Herausforderung dar, die Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu erfüllen. Dabei definierte in der Vergangenheit ausschließlich die Rechtsprechung durch ihre Einzelfall-Entscheidungen Bedingungen für das Aufklärungsgespräch. Sie waren teilweise im klinischen Alltag nur schwer umsetzbar. Mit dem Patientenrechtegesetz gelten nun auch gesetzliche Vorgaben. Da diese recht allgemein gehalten sind, wird es aber auch in der Zukunft auf die Auslegung durch die Gerichte ankommen.

Der Bundesgerichtshof hat nun erneut geklärt, wie die Anforderungen an die Aufklärung konkret zu verstehen und in der Praxis umzusetzen sind. Er befasste sich mit der Frage, wie genau die Wahrscheinlichkeit beschrieben werden muss, mit der ein Risiko eintreten könnte. Konkret ging es darum, ob sich die Wahrscheinlichkeitsangaben in einem Aufklärungsgespräch an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) orientieren müssen oder ob allgemeiner gehaltene Angaben ausreichen.
 

Der Fall

Aufgrund einer medialen Gonarthrose lässt sich der Patient und Kläger dieses Gerichtsverfahrens 2011 eine Knieprothese einsetzen. Vor dem Eingriff ist er darüber aufgeklärt worden, dass es „gelegentlich“ zu einer Lockerung der Prothese kommen könne, was einen Austausch des Implantats zur Folge habe. Zwei Jahre später spürt der Mann zunehmende Belastungsschmerzen, die Prothese hat sich tatsächlich gelockert. In einer weiteren Operation wird ein neues Gelenk eingesetzt. Der Patient fordert daraufhin unter anderem 50.000 Euro Schmerzensgeld. Er begründet das damit, dass mit der Formulierung einer „gelegentlichen Lockerung“ im Aufklärungsgespräch das Risiko heruntergespielt worden und die Aufklärung mithin unzureichend gewesen sei. Um seine Argumentation zu stützen, verweist er auf die sehr viel engere Definition des Wortes „gelegentlich“ im MedDRA.
 

Das Urteil

In seinem Spruch folgt der Bundesgerichtshof der Argumentation des Patienten nur teilweise. Grundsätzlich müsse der Patient in jeden Heileingriff einwilligen, befinden die Richter. Das setze wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus, in deren Rahmen beim Patienten keine falsche Vorstellung über das mit dem Eingriff verbundene Risiko erzeugt werden dürfe – etwa, indem das Risiko verharmlost werde.

Sodann verlässt der Senat aber die Argumentationslinie des Klägers, denn im konkreten Fall hält er die Darstellung der Eintrittswahrscheinlichkeit für ausreichend. Die in Betracht kommenden Risiken müssen nach Ansicht des Gerichts nicht medizinisch exakt beschrieben werden. Vielmehr genüge eine Darstellung von Chance und Risiken „im Großen und Ganzen“. Es sei auch nicht erforderlich, genaue Prozentzahlen zu nennen, mit denen sich ein Behandlungsrisiko möglicherweise verwirklichen könne. Ebenso tritt das oberste deutsche Zivilgericht der Ansicht entgegen, die Wahrscheinlichkeitsangabe über das Risiko vor einem medizinischen Heileingriff müsse sich an der für Beipackzettel üblichen Definition der MedDRA orientieren.
 

„Gelegentlich“ heißt unter zehn Prozent

Der Sachverständige in diesem Verfahren hatte die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Lockerung der Prothese mit 8,71 Prozent beschrieben. Die mit „gelegentlich“ definierte Eintrittswahrscheinlichkeit liegt nach MedDRA hingegen bei 0,1 bis 1 Prozent. Damit erfolgte die Aufklärung des Patienten tatsächlich entgegen der Definition nach MedDRA.

Der Bundesgerichtshof hält das aber für irrelevant. Dabei beruft er sich auf Sinn und Zweck der ärztlichen Aufklärungspflicht. Diese solle das Selbstbestimmungsrecht des Patienten sichern, indem er eine zutreffende Vorstellung davon erhalte, worauf er sich mit dem Eingriff einlasse. Dementsprechend müsse die Aufklärung sprachlich und inhaltlich verständlich sein. Solange keine Besonderheiten bestünden, könne dabei auf den allgemeinen Sprachgebrauch im konkreten Kontext abgestellt werden.

Unter Zuhilfenahme des Dudens ordnet das Gericht „gelegentlich“ zwischen „selten“ und „häufig“ ein und sieht eine Häufigkeit, die sich im einstelligen Prozentbereich bewegt, davon umfasst. Die Definition nach MedDRA sei zudem nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Dies wird mit einer Studie belegt, nach der selbst Pharmazeuten und Ärzte ein anderes Verständnis von „gelegentlich“ hätten als es der sehr engen Definition nach MedDRA entspreche.

Dieses Beispiel der richterlichen Auslegung zeigt, dass die so vorgenommene Konkretisierung der ärztlichen Aufklärungspflicht erfreulicherweise auch im klinischen Alltag umsetzbar und realitätsnah sein kann.

Johannes Jaklin
johannes.jaklin@ecclesia-gruppe.de