Die ausschließliche Verantwortung für die Gesamtbehandlung trägt der ursprünglich behandelnde Arzt beziehungsweise die behandelnde Ärztin – auch wenn ein Konsiliararzt hinzugezogen wird. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm am 30. Oktober 2020 entschieden (I-26 U 131/19). Der Konsiliararzt haftet weder für eine unterlassene noch für eine verspätete Umsetzung seiner Empfehlungen. Die Organisationsverantwortung bleibt beim Behandelnden. Der Konsiliararzt ist auch nicht verpflichtet, bei ausbleibender weiterer Anforderung eigenständig mit dem Patienten zur Überprüfung des Behandlungsverlaufs in Kontakt zu treten. Er darf sich auf die Befolgung seiner Empfehlungen verlassen. Mit dem Urteil hebt das Gericht das erstinstanzliche Urteil auf (LG Bielefeld, 4 O 228/18). Sandra Miller, Fachjuristin für Medizinrecht in unserer Unternehmensgruppe, fasst den vorliegenden Fall und das Urteil zusammen.

Der Fall

Im Oktober 2013 kommt die Klägerin als Frühgeborenes in der 25. + 6. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 560 Gramm zur Welt. Es besteht ein hohes Risiko für das Auftreten einer Frühgeborenen-Retinopathie (ROP). Das stationär behandelnde Krankenhaus fordert Ende November 2013 augenärztliche Konsiliaruntersuchungen an. Diese erfolgen durch Augenärzte einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis am 27.11.2013, 03.12.2013 und 10.12.2013. Die Ärzte diagnostizieren eine avaskuläre Netz-haut in Zone II – keine ROP. Bei einem derartigen Befund erfolgt leitlinienkonform eine erneute augenärztliche Untersuchung in der folgenden Woche. Entgegen der Empfehlung fordert das stationär behandelnde Krankenhaus zum 17.12.2013 keine augenärztliche Untersuchung an. Die nächste erfolgt erst am 03.01.2014. Hier wird die Diagnose einer fortgeschrittenen ROP gestellt. Das Kind wird zur augenärztlichen Behandlung in eine Uniklinik verlegt. Es erblindet am linken Auge. Am rechten Auge verbleibt ein Restsehvermögen von etwa 20 bis 40 Prozent. Aufgrund der Gefahr einer Netzhautablösung bedarf es permanenter, engmaschiger augenärztlicher Kontrolluntersuchungen. 

Die Entscheidung

Klage wird gegen das stationär behandelnde Krankenhaus und die augenärztlichen Konsiliarärzte erhoben. Das Krankenhaus erkennt die Klageforderung an. Die augenärztlichen Konsiliarärzte werden in der ersten Instanz zum Schadenersatz verurteilt. Gegen das Urteil gehen sie erfolgreich mit der Berufung vor. Das OLG Hamm weist die Klage gegen die Konsiliarärzte ab. Gegen die Augenärzte bestehen weder vertragliche noch deliktische Ansprüche.

Erläuterung 

Organisationspflichten der Konsiliarärzte beschränken sich auf die Patienten, bei denen die Konsiliaruntersuchung angefordert wird. Es besteht keine eigenständige Überwachungspflicht, ob das behandelnde Krankenhaus der Empfehlung nachkommt.

Das OLG stellt fest, dass es für Konsiliarärzte keine Verpflichtung gibt, bei ausbleibender Anforderung eines Konsils mit dem stationär behandelnden Krankenhaus in Kontakt zu treten. Die Behandlungsverantwortung mit der Pflicht zur vollständigen therapeutischen Aufklärung verbleibt bei dem die Behandlung durchführenden Arzt bzw. der Ärztin. Nach dem Ende der Behandlung muss sich der konsiliarisch hinzugezogene Arzt bzw. die Ärztin darauf verlassen können, dass der Behandelnde den Empfehlungen folgt und die erforderlichen Maßnahmen veranlasst. 

Der Konsiliararzt handelt nur nach Auftrag

Das Gericht führt an, dass der Konsiliararzt immer aufgrund eines konkreten Auftrags tätig wird und an dessen Umfang gebunden ist. Das Frühgeborene ist ausschließlich Patient des Krankenhauses. Entsprechend befindet sich dort die Patientenakte. Die Konsiliarärzte legen keine eigene Behandlungsdokumentation an. Eine augenärztliche Behandlung wird ausschließlich auf dem Konsiliarschein dokumentiert. Dessen Original verbleibt in der Patientenakte des Krankenhauses. Es gibt bezüglich der Pflicht zur eigenen Kontrolle für Konsiliarärzte keine allgemeingültigen medizinischen Standards. Sie werden ausschließlich auf Anforderung tätig. Ihre Organisationspflicht beschränkt sich auf den Umstand, dass sie nachhalten müssen, dass ihnen alle Patienten, für die eine Konsiliarnforderung vorliegt, vorgestellt wurden. Für Patienten, die nicht im Rahmen eines Konsils vorgestellt werden, erfolgt mangels Auftrag keine Untersuchung. Für den Konsiliararzt besteht weder die Pflicht zur Führung eines Fristenkalenders noch zu einer eigenständigen Dokumentation der ausgesprochenen Empfehlungen und Untersuchungsergebnisse.   

Es handelt sich um keinen besonders gelagerten Einzelfall, der ausnahmsweise eine eigenständige Überwachungspflicht der konsiliarisch tätigen Ärzte auslösen könnte. Das erstinstanzliche Urteil hatte einen solchen Ausnahmefall angenommen, da es sich bei dem Kind um einen besonderen Risikopatienten handelte. Bei solchen Patienten muss der Konsiliararzt die Anforderungen des Konsils im Blick behalten und bei Ausbleiben der Anforderung eine Rückfrage vornehmen. Beim OLG Hamm hielt diese Einschätzung aber nicht Stand. Ein lediglich kontrollbedürftiger Befund sei nicht geeignet, einen besonderen Ausnahmefall zu konstatieren. Das OLG verweist in diesem Zusammenhang auf den Bundesgerichtshof (Urteil vom 21.01.2014, Az.: VI ZR 78/13). Der BGH sieht eine Ausnahme nur dann als gegeben an, wenn zwischen dem Patienten und dem Konsiliararzt ein eigenständiger Vertrag zustande kommt. Es gelte die Faustregel: Es haftet wer abrechnet. 

Kein Behandlungsvertrag des Konsiliararztes mit dem Patienten

Schließlich führt das OLG an, dass eine vertragliche Haftung an dem Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Patienten und dem Konsiliararzt scheitert.

Fazit

Es handelt sich um ein praxisrelevantes Urteil. Der Verantwortungsumfang eines Konsiliararztes wird klar, zutreffend und überzeugend definiert.