Die Digitalisierung beeinflusst unseren Alltag. Doch nicht alle Menschen in Deutschland sind online. Sie können somit an einigen Prozessen nicht partizipieren. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, zum Beispiel der Bildungshintergrund, das Einkommen, die körperliche oder geistige Verfassung. Im Interview erläutert Dr. Bastian Pelka, welche Vorteile die Digitalisierung für Menschen mit Behinderung hat und wie technische Hilfsmittel eingesetzt werden.

Informationsdienst: Herr Dr. Pelka, welches Potenzial sehen Sie aus soziologischer Perspektive in der Nutzung von digitalen Medien?

Dr. Bastian Pelka: Das Smartphone kann in diversen Bereichen unterstützen, beispielsweise um in der Politik aktiv zu sein – wie bei online-Petitionen. Auch für die berufliche Tätigkeit bieten Handy oder Tablet viele Vorteile. Ferner kann ein Mobilgerät beim Thema „Gesundheit“ helfen: im Bereich der Telemedizin, aber auch bei Gesundheitsdienstleistungen oder bei Präventionsmaßnahmen mithilfe von Gesundheits-Apps. Smartphone oder Tablet ermöglichen also eine Teilhabe mit digitalen Medien. Das gilt auch für Menschen mit Einschränkungen.

Ich erforsche zum Beispiel, wie Menschen mit Behinderung, geringer Bildung oder Fluchthintergrund digitale Medien nutzen und inwieweit die technischen Mittel zur Selbsthilfe beitragen können. Es lässt sich erkennen, dass vielen Menschen das Lernen mit diesen Technologien nicht gelingt, obwohl es mittlerweile Lern-Apps in leichter Sprache gibt. Diese Personen benötigen eine pädagogische Begleitung, um den Umgang zu erlernen. 

Werden Menschen ausgegrenzt, die keine digitalen Medien nutzen?

Dr. Bastian Pelka: In gewisser Weise ist das so. Ungefähr neun Millionen Menschen in Deutschland sind nicht online. Sie können nicht mitreden, beispielsweise bei der Diskussion, welche Vorteile ein digitaler Impfausweis hat. Im Alter nimmt die Teilnahme am digitalen Leben derzeit noch ab. Das beginnt meistens mit dem Eintritt ins Rentenalter. In Zukunft wird dies allerdings anders sein.

Gibt es weitere Personengruppen, die von der digitalen Teilhabe ausgeschlossen sind?

Dr. Bastian Pelka: Menschen mit kognitiven Behinderungen nutzen häufig keine digitalen Medien. Um sie mit den digitalen Technologien vertraut zu machen und um zu verhindern, dass diese Personen von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, braucht es die Organisationen der Wohlfahrtspflege. Denn es ist mit großem pädagogischen Aufwand verbunden, Menschen mit diesen Einschränkungen das Internet und die Technik dahinter so zu erklären, dass sie die Angebote einschätzen und nutzen können.  

Für Menschen mit motorischen und sensorischen Behinderungen sind – geeignete Hilfsmittel vorausgesetzt – die digitalen Hilfsmittel oft das „Tor zur Welt“. Aber auch hier werden Pädagoginnen und Pädagogen benötigt, die sich mit diesen Dingen auskennen. Beispielsweise bieten Rollstühle mit einem großen Funktionsumfang zwar einen enormen Mehrwert, allerdings müssen die Nutzerinnen und Nutzer umfangreich in die Technologie eingewiesen werden. Das ist eine der großen Herausforderungen für die begleitenden Pädagoginnen und Pädagogen.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung auch mit Pflegeportalen. Welche Vorteile hat die Verwendung, und welche Gefahren sehen Sie?

Dr. Bastian Pelka: In diesem Fall wird der Vermittler komplett digitalisiert. Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, wie sehr die sozialen Dienstleistungen digitalisiert werden sollen. Wir kennen seit langem den digitalen Versand von Büchern. Plattformen wie Amazon haben vor Jahren begonnen, Bücher online zu verkaufen. Heute können wir nahezu alles im Internet beschaffen. Nun wird auch die Pflegedienstleistung amerikanisiert. Wer eine Pflegekraft sucht, kann diese im Internet finden. Das bedroht die Wohlfahrtspflege. Früher war es üblich, dass ein sozialer Träger aus der Region ausgewählt wurde, wenn jemand pflegebedürftig wurde. Denn die Organisationen der freien Wohlfahrtspflege sind nicht nur Erbringer von Leistungen, es gehören auch gesellschaftliche Aufgaben und kommunikative Prozesse mit den Pflegebedürftigen dazu.

Was kann man tun, um diesen Prozess sozialer zu gestalten?

Dr. Bastian Pelka: Damit der deutsche Wohlfahrtsstaat weiterbestehen kann, sollten auch die großen Sozialverbände ihre Angebote weiter digitalisieren. Besonders die nachfolgenden Generationen, die heute mit dem Smartphone aufwachsen, werden in Zukunft erst einmal das Netz befragen statt den Akteur in der Nähe anzusprechen. Und dann ist die Frage, wer sich im Netz besser als Anbieter von Pflege darstellt.

Wie sehen Sie die Zukunft der digitalen Teilhabe?

Dr. Bastian Pelka: Demografisch gesehen sterben die „Offliner“ aus. Allerdings wird es dennoch eine Gruppe von Menschen mit Behinderung geben, die nicht online ist oder nur mit Aufwand online sein kann. Doch es ist Aufgabe unserer Gesellschaft, es jeder und jedem zu ermöglichen.

Wie können diese Menschen unterstützt werden?

Dr. Bastian Pelka: Pädagogische Fachkräfte sollten besonders diese betroffenen Personen ansprechen und sie unterstützen. Die Sozialverbände bieten häufig Veranstaltungen an, bei denen zum Beispiel Ältere den Umgang mit Smartphones lernen können. Auch Menschen mit Behinderung sollten vermehrt die Chance erhalten, die neuen Technologien kennenzulernen, dies kann ihnen in bestimmten Situationen den Alltag erleichtern. Die Ziele sind, Medienkompetenz zu vermitteln und Barrieren abzubauen, um eine Teilhabe an der digitalen Gesellschaft zu ermöglichen. Zudem muss die Teilhabe mit digitalen Medien verbessert werden. Die Wohlfahrt hat die Aufgabe, ihre pädagogische und soziale Arbeit in den digitalen Medien auszubauen, zum Beispiel Apps einzusetzen und die Vernetzung sowie den Austausch zu fördern. Dafür braucht sie Assistentinnen und Assistenten, die auch in digitaler Teilhabe ausgebildet sind.

Die Fragen stellte Ann-Cathrin Ohm aus der Unternehmenskommunikation.

Dr. habil. Bastian Pelka ist Vertretungsprofessor der Fakultät Rehabilitationswissenschaften an der Technischen Universität Dortmund. Er forscht im Fachgebiet Rehabilitationssoziologie an Möglichkeiten zur digitalen Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen oder Einschränkungen.