Die vollständig elektronische Dokumentation des Behandlungsablaufs ist das angestrebte Ziel im Gesundheitswesen. Jedoch sind wir davon zurzeit weit entfernt. Noch stehen vielfach Themen aus der analogen Welt im Vordergrund, etwa der Umgang mit den in der Vergangenheit rein in Papierform geführten Patientenakten. Wie sich die Rechtsprechung verhält, wenn diese Akten von der Papierform in eine digitalisierte Form übertragen werden, erläutert Johannes Jaklin, Fachanwalt für Medizinrecht.

Die Archive der Krankenhäuser, in denen die Papierakten aufbewahrt werden, nehmen viel Platz in Anspruch und erzeugen damit Kosten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass es zur gelebten Praxis wird, die Akten einzuscannen und im weiteren Verlauf die Originale vernichten zu lassen. Dabei sorgt nach wie vor eine rechtliche Frage, die mit dem sogenannten „Ersetzenden Scannen“ in Verbindung steht, für Verunsicherung: Erleidet das Krankenhaus rechtliche Nachteile daraus, dass die Originale nicht mehr zur Verfügung stehen? Läuft es insbesondere Gefahr, einen Arzthaftungsprozess zu verlieren, weil nur noch die gescannten Akten und nicht mehr die Originale vorgelegt werden können?

In der Theorie lässt sich dazu Folgendes sagen: Die Patientenakte in Papierform wird im Arzthaftungsprozess beweisrechtlich als Urkunde angesehen. Damit gilt die gesetzliche Vermutung, dass die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen auch tatsächlich abgegeben worden sind (§ 416 ZPO). Hieran ist das Gericht in seiner Bewertung gebunden (§ 286 Abs. 2 ZPO). Die gescannte Patientenakte gilt als Beweis des Augenscheins (§ 371 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und unterliegt somit der freien Beweiswürdigung des Gerichts (§ 286 ZPO).

Dieser formale Unterschied hat jedoch umso weniger praktische Relevanz, je fundierter das Gericht davon überzeugt werden kann, dass die gescannte Akte mit dem Original übereinstimmt. Ein wesentliches Argument dafür ist ein strukturierter, hochwertiger und in allen Schritten nachvollziehbarer Scanprozess. Ein solcher muss beschrieben, dessen Einhaltung kontrolliert und vor Gericht dargelegt werden können. Schaltet das Krankenhaus dafür einen externen Dienstleister ein, ergibt sich die größte Sicherheit, wenn dieser den Vorgaben der Technischen Richtlinie zum Ersetzenden Scannen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (TR-RESISCAN) folgt. Natürlich müssen auch die Richtlinien der europäischen Datenschutz-Grundverordnung berücksichtigt werden.

Doch wie sieht die Praxis aus? Wie gehen die Gerichte tatsächlich mit dieser Besonderheit der Beweissituation um? Hierzu gibt es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg.1 Es hat sich konkret mit einem Fall befasst, in dem nicht mehr die Originale, sondern nur eine Reproduktion der Akten vorgelegen hat.

In dem Fall wurde ein Krankenhaus im Zusammenhang mit einem Geburtsgeschehen auf Schadenersatz verklagt. Die Patientenakte war im Original nicht mehr vorhanden, da sie mikroverfilmt worden war. Der im Verfahren beauftragte Sachverständige konnte deshalb nur auf die reproduzierten Unterlagen für seine Beurteilung zurückgreifen. Da der Gutachter das Behandlungsgeschehen als fehlerfrei beurteilte, berief sich die Klägerseite auf den unzureichenden Beweiswert der nicht im Original vorliegenden Unterlagen.

Letztlich bekräftigt das Gericht in seinem Urteil, dass dem Krankenhaus in dem Fall durch den Umstand der nicht mehr greifbaren Originale keine Beweisnachteile entstehen. Vorab beschäftigt sich das Gericht mit der allgemeinen Beweiskraft der ärztlichen Dokumentation. Es führt aus, dass dieser zunächst einmal Glauben zu schenken ist, soweit sich keine konkreten Anhaltspunkte für falsche Angaben ergeben. Es ergänzt sodann, dass es nicht genügt, die Richtigkeit der Dokumentation zu bestreiten, um sie zu entkräften. Denn anderenfalls würde der Wert der ärztlichen Dokumentation gen Null tendieren. Schlussendlich führt es aus:

„Dabei hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass die Verwertbarkeit des Gutachtens […] nicht deshalb in Frage steht, weil er [der Gutachter] nicht die Original-Behandlungsunterlagen in Papierform ausgewertet hat, sondern die seitens der Beklagten auf Mikrofilm digitalisierte Fassung.“

Auch das Oberlandesgericht München2 hatte sich bereits zuvor in ganz ähnlicher Weise geäußert:

„Die These der Berufung, dass nur die ärztliche Originaldokumentation beweiskräftig ist, findet weder in Gesetz und Recht noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Vielmehr obliegt die Entscheidung, ob und inwieweit eine Fotokopie der Dokumentation aussagekräftig ist, der richterlichen Beweiswürdigung. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte, bevor diese vom Kläger kopiert wurde, die Behandlungsdokumentation manipuliert oder gefälscht hat, bestehen nicht. Im Übrigen besteht ohnehin eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass diesbezügliche Auffälligkeiten der Originaldokumentation der Klageseite bei Anfertigung der Kopien der Behandlungsunterlagen aufgefallen wären. Folglich bestehen keine Bedenken dagegen, die vom Kläger gefertigten Kopien der Behandlungsunterlagen des Beklagten in die Beweiswürdigung einzustellen.“

Damit liegen zwei Entscheidungen vor, bei denen die Original-Patientenakte nicht mehr vorgelegt werden konnte, mithin den reproduzierten Unterlagen nicht der Urkundsbeweis zu Gute kam. Dennoch haben die Gerichte im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine Beweisnachteile festgestellt. Zwar können die beiden Einzelentscheidungen nicht automatisch auf alle anderen Fälle übertragen werden. Es zeigt sich aber die Tendenz, dass die Gerichte aus der Vorlage lediglich reproduzierter Unterlagen keine Beweisnachteile ableiten. Voraussetzung dafür sind aber eine widerspruchsfreie Dokumentation und das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten.

Johannes Jaklin
johannes.jaklin@ecclesia-gruppe.de

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1 OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. August 2017, Az.: 12 U 138/16.
2 OLG München, Beschluss vom 28. Mai 2013, Az.: 1 U 844/13.