Der Haftpflichtversicherungsmarkt für Krankenhäuser bietet unterschiedliche Versicherungsfalldefinitionen für den Risikotransfer. In Deutschland sind mehrheitlich Versicherungsverträge auf dem Markt, die nach dem Schadenereignisprinzip funktionieren. Es wird in der Regel mit dem englischen Begriff Occurrence benannt. Daneben gewinnt das Anspruchserhebungsprinzip (Claims-Made) Marktanteile. Beide haben Vor- und Nachteile. Ansgar Kentrup, Leiter der Produktentwicklung Haftpflicht in unserer Unternehmensgruppe, erklärt im Interview die unterschiedlichen Spielarten und sagt, worauf bei der Auswahl zu achten ist.

Herr Kentrup, wie teilt sich der deutsche Markt auf?

Ansgar Kentrup: In der Krankenhaushaftpflicht ist Deutschland historisch gesehen ein Occurrence-Markt. Die deutlich überwiegende Anzahl der Verträge basiert auf diesem Modell, nach dem ein Schaden in der Periode versichert ist, in der er sich ereignet hat. Beim Claims-Made-Prinzip gilt der Versicherungsfall zu dem Zeitpunkt als eingetreten, zu dem der Anspruch geltend gemacht wird, unabhängig vom Zeitpunkt des schadenverursachenden Ereignisses.


Wie entwickelt sich das Claims-Made-Prinzip im Heilwesen-Haftpflichtsektor?

Ansgar Kentrup: Im angelsächsischen und darüber hinaus internationalen Raum ist Claims-Made in der Haftpflichtversicherung das vorherrschende Prinzip. Versicherungsverträge, die auf dem Claims-Made-Prinzip basieren, haben in der jüngeren Vergangenheit langsam aber sicher auch im deutschen Heilwesen-Haftpflichtsektor einen größeren Marktanteil erlangt. Über die Jahre hinweg haben sich viele Krankenhäuser mit Claims-Made-Deckungen beschäftigt. Die zuletzt zunehmende Nachfrage nach Eigentragungsmodellen hat diesen Trend allerdings in jüngster Zeit wieder etwas abgeschwächt.


Sind Eigentragungslösungen im Claims-Made-Modell nicht möglich oder worauf ist dieser jüngste Trend zurückzuführen?

Ansgar Kentrup: Eigentragungslösungen sind grundsätzlich unabhängig von der Versicherungsfalldefinition möglich; es verändern sich dabei nur die Regelungsbereiche. Eigentragungsmodelle lassen die Marktanteile von Claims-Made-Policen aber langsamer wachsen, weil die Motivation, sich mit dem einen oder anderen zu beschäftigen, deckungsgleich sein kann. Häufig geht es den Kunden darum, Liquiditätsvorteile zu nutzen.


Heißt das, Claims-Made- und Eigentragungsmodelle sind für den Versicherungsnehmer günstiger als die Occurrence-Lösung?

Ansgar Kentrup: Nein, das kann man so nicht sagen. Zum Zeitpunkt der Vertragsumstellung ergibt sich in der Regel tatsächlich ein Liquiditätsvorteil. Dies gilt sowohl für Claims-Made als auch Eigentragung beziehungsweise eine Kombination aus beiden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Ob allerdings die Risikoabsicherung unter dem Strich günstiger ist, ist zumindest für Absicherungsmodelle mit Eigentragung – unabhängig der Versicherungsfalldefinition – nur näherungsweise zu bestimmen. Eine relativ genaue Prognose gelingt einzig mit einer umfangreichen, prädiktiven Total-Cost-of-Risk-Analyse. Als Ecclesia Gruppe betreuen wir mehr als 50 Prozent der deutschen Krankenhäuser und profitieren daher von sehr belastbarem Zahlenmaterial. Unsere Total-Cost-of-Risk-Analyse betrachtet dabei alle Modelle nebeneinander und bietet eine Tiefenanalyse mit Bezug auf die Kennzahlen des jeweiligen Krankenhauses. So sind wir in der Lage, das Modell mit den vermutlich geringsten Gesamtrisikokosten zu identifizieren. Jede andere Bewertung ist – das muss man so ausdrücken – nicht mehr als ein Bauchgefühl.


Nur den Liquiditätsvorteil im Blick zu haben, wäre also zu kurz gedacht?

Ansgar Kentrup: Ja. Natürlich kommt es auf die individuelle Situation an, aber langfristig sind die Gesamtrisikokosten das entscheidende Kriterium.


Warum ergibt sich überhaupt ein Liquiditätsvorteil bei Claims-Made?

Ansgar Kentrup: Zunächst einmal muss man sich dafür den Zeitpunkt des Versicherungsfalls vor Augen führen, daraus lässt sich das Meiste ableiten. Im Occurrence-Modell tritt der Versicherungsfall grundsätzlich zum Zeitpunkt des Behandlungsfehlers ein, bei Claims-Made zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Der Versicherungsfall ist im Claims-Made-Modell also zeitlich nach hinten verlagert. Zum Zeitpunkt des Wechsels von Occurrence auf Claims-Made ist die Vergangenheit im Rahmen und im Umfang des „alten“ Occurrence-Vertrags versichert, die Risiken sind bis zur Höhe der Versicherungssumme ausfinanziert. Der Claims-Made-Vertrag versichert zu diesem Zeitpunkt nur die Zukunft, die Schadenlast baut sich also erst sukzessive auf, es ist kein sogenanntes Retroactive Date notwendig. In der Krankenhaushaftpflicht, bei der wir von einem Spätschaden geneigten Risiko mit Schadenmeldeverzug reden, ein sehr relevanter Faktor. Dies führt dazu, dass es bei einem erstmaligen Wechsel in ein Claims-Made-Modell in der Regel zu einem Liquiditätsvorteil kommt. Im Zeitablauf gleicht sich das Prämienniveau dann aber an.


Sollte man dann nicht unbedingt ins Claims-Made-Modell wechseln, um den Liquiditätsvorteil mitzunehmen? 

Ansgar Kentrup: Aus der rein monetären Kurzfristbetrachtung könnte man zu dem Schluss kommen. Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine Rückkehr ins Occurrence-Modell nicht ohne weiteres möglich ist, in jedem Fall kostet sie Geld. Ohne diese Rückkehroption stehen einem Krankenhaus für zukünftige Perioden dann nur noch Versicherer zur Verfügung, die auf Claims-Made-Basis anbieten. Das heißt, das Angebot auf dem deutschen Markt ist eingeschränkt. Dies wird natürlich nur dann zum Problem, wenn Claims-Made-Anschlussdeckungen nicht so attraktiv sind wie vergleichbare Occurrence-Angebote.


Was sind vor diesem Hintergrund weitere wesentliche Unterschiede, wo bestehen noch Vor- und Nachteile der jeweiligen Modelle?

Ansgar Kentrup: Wenn ein Jahr im Occurrence-Modell abgeschlossen ist, sind alle Schadenereignisse aus diesem Jahr im Rahmen und im Umfang des Occurrence-Vertrags versichert. Das ist im Claims-Made-Modell nicht der Fall. Beim Claims-Made-Modell, wo der Zeitpunkt des Versicherungsfalls nach hinten verlagert ist, gelten immer die vertraglichen Regelungen zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme, das kann insbesondere mit Blick auf die tendenziell steigenden Versicherungssummen vorteilhaft sein.


Hat der Versicherer bei Claims-Made bessere Steuerungsmöglichkeiten?

Ansgar Kentrup: Grundsätzlich ja. Der Versicherer kann auf Veränderungen besser reagieren und Verträge anpassen. In welcher Form und in welchem Umfang er solche Änderungen vornehmen kann, hängt aber letztlich vom jeweiligen Claims-Made-Modell ab, hier gibt es durchaus Unterschiede. Auch hier gilt, dass vertragliche Änderungen für den Versicherungsnehmer Nachteile aber auch Vorteile bringen können. Vorteile insbesondere dann, wenn sich das individuelle Risiko verbessert.


Am Ende des Tages ist also auch bei Claims-Made die Qualität des klinischen Risikomanagements ein entscheidender Faktor?

Ansgar Kentrup: Genau. Ziel allen Wirkens sollte es sein, Schäden und Schadenfrequenzen durch klinisches Risikomanagement zu optimieren.


Abschließend: Man kann also nicht pauschal sagen, dass die ein oder andere Versicherungsfalldefinition besser ist?

Ansgar Kentrup: Richtig. Es kommt auf den Einzelfall an, der genau und tiefgehend betrachtet werden sollte.

 

Die Fragen stellte Thorsten Engelhardt, Pressesprecher unserer Unternehmensgruppe.