Die Dokumentationspflicht ist ein immer wiederkehrendes Thema – davon auszugehen, dass es möglicherweise ein alter Hut oder das Lieblingsthema von Juristinnen und Juristen sei, wäre jedoch fatal. Im Gegenteil ist der klügere Weg, die Dokumentation stets im Fokus zu behalten und nie unwichtig werden zu lassen. Miriam Stüldt-Borsetzky, Medizinrechtlerin in unserer Unternehmensgruppe, erklärt an zwei Beispielen, weshalb das so ist.

Beispiel 1 – Dokumentation der Zählkontrolle

Der Fall

Diesem Beispiel liegt ein Urteil des OLG Dresden vom 7. Juli 2020 (4 U 352/20) zugrunde. Es hatte sich Folgendes zugetragen:

Im September 2017 unterzog sich ein Patient einer Darmkrebsoperation zur Entfernung eines Karzinoms. Bei der anschließenden Chemotherapie litt er unter Fieberschüben, einem Harnwegsinfekt und einer Pneumonie. Er begab sich deshalb wenige Monate später erneut in die stationäre Aufnahme, bei der eine Bauchsonografie durchgeführt wurde. Diese verblieb bei weitgehend unauffälligem Befund.

Im Frühjahr 2018 wurde der Mann wegen des Verdachts auf Darmverschluss stationär aufgenommen. Es erfolgte eine notfallmäßige Bauchoperation mit Stoma-Anlage. In einem am Folgetag durchgeführten CT und einer Endoskopie wurde ein 25 cm großes, zusammengepresstes grünes Bauchtuch aufgefunden und sodann operativ entfernt. Im Juni erfolgte die operative Stoma-Rückverlegung, doch leider stellten sich dabei Komplikationen ein, die letztlich zu weiteren Behandlungen führten.

Das Gutachten

Der Patient ging davon aus, dass das Bauchtuch schon bei der Operation im September 2017 vergessen worden und die Ursache für den notfallmäßig operierten Darmverschluss sei. Ein MDK-Gutachten bestätigte seine Annahme. Vor Gericht forderte er deshalb ein Schmerzensgeld von mindestens 75.000 Euro, rund 18.000 Euro materiellen Schadenersatz sowie die Feststellung der Ersatzpflicht zukünftigen materiellen Schadens.

Die beklagte Arztseite ging davon aus, dass das Bauchtuch nicht von der Operation im September 2017 stammen konnte, denn es sei eine Zählkontrolle erfolgt. Ein Pathologe habe zudem bestätigt, dass das Bauchtuch weder Fibrinbelege noch Zellinfiltrationen aufgewiesen habe, nur sehr gering mit Stuhl versetzt gewesen sei und daher nur kurz mit dem menschlichen Körper Kontakt gehabt haben könne. Außerdem sei ein Überleben mit dem Bauchtuch für das im Raum stehende Zeitfenster bis zur Entfernung nicht möglich gewesen. Der Pathologe kam daher zu dem Schluss, dass das Bauchtuch nur via naturalis per anal in den Darm gelangt sein könne.

Das Urteil

Das erstinstanzlich angerufene Landgericht wies die Klage mit diesen Begründungen ab: Es gab eine ausweislich des Operationsberichtes durchgeführte Zählkontrolle, das MDK-Gutachten sei unergiebig und zudem von den Bewertungen des Pathologen widerlegt. Ein Sachverständigengutachten holte das Landgericht im Prozess nicht ein.

Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils

Das OLG Dresden sah dies ganz anders, hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies es zurück zur erneuten Beweisaufnahme. Zu den Fragen der Dokumentation des Operationsberichtes führte das OLG Dresden Folgendes aus:

Das Zurücklassen eines Fremdkörpers im OP-Gebiet sei dem voll beherrschbaren Risiko zuzuordnen: mit der Folge, dass die Behandlerseite die Darlegungs- und Beweislast für die sachgemäße Behandlung habe, wenn nicht festgestellt werden könne, dass die üblichen und notwendigen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen worden seien, um das Risiko zu vermeiden. Die beklagte Arztseite sei der ihr in diesem Zusammenhang obliegenden Dokumentationspflicht nicht ausreichend nachgekommen. 

Die Zählkontrolle von Bauchtüchern vor und nach einer Operation und deren Dokumentation sei Ausfluss und Erfüllung einer aus medizinischen Gründen bestehenden Dokumentationspflicht, die gerade auch bewirken solle, dass eine Kontrolle tatsächlich stattfindet und ein Verbleib von Operationsmaterial von vornherein verhindert werde (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2013 – 26 U 30/12 –, Rn. 29, juris). Dieser Kontroll- und Selbstvergewisserungsfunktion könne die Dokumentation jedoch nur genügen, wenn sie sich nicht auf eine pauschale Kurzbestätigung beschränke. Vielmehr müssen die einzelnen zu zählenden Gegenstände vor und nach der Operation zahlenmäßig aufgeführt und die Übereinstimmung beider Zahlenwerte bestätigt werden. Vorliegend habe indes das Operationspersonal in dem digital geführten Operationsbericht auch nach der Behauptung der Beklagten unter „Zählkontrolle“ bei „Ja“ lediglich ein Kreuz gesetzt.

Mit dem Vermerk durch Ankreuzen „Zählkontrolle: ja“ genüge die Arztseite ihrer Dokumentationspflicht nicht, so das OLG Dresden.

Beispiel 2 – technische Durchführung einer Operation

Der Fall


Das zweite Beispiel betrifft die Dokumentation von handchirurgischen Operationen – ganz konkret von Revisionsoperationen derartiger Eingriffe. Es gibt immer mal wieder Operationsberichte, in denen die Details zur technischen Durchführung gutachterlich als nicht ausreichend bemängelt werden und deshalb als Haftungsrisiko angesehen werden müssen. Dazu beispielhafte Auszüge aus gutachterlichen Stellungnahmen, in denen die technische Durchführung, hier der Einsatz einer Lupenbrille, besonders wesentlich ist:

„… Auch bei der Revisionsoperation wurde eine Blutleere angelegt, es fehlt jedoch die zwingend notwendige Angabe über eine Lupenvergrößerung bei der Operation. Bereits präoperativ wurde der Befund korrekt als narbige Verwachsung … interpretiert. Demnach ist bereits vor der Operation damit zu rechnen gewesen, dass der Nerv aus dem Narbengewebe freigelegt werden muss. Dies ist nur unter mikrochirurgischen Kautelen im Sinne der Verwendung einer Lupenvergrößerung (Lupenbrille) gegeben. …“

In einem anderen Gutachten ist zwar die Dokumentation ebenfalls ausführlich, aber der eindeutige Hinweis auf die Verwendung der Lupenbrille fehlt. Das schmälert die Aussagekraft der von ärztlicher Seite vorgetragenen Argumentation:

„Die Unterscheidung zwischen Narbe und nicht gespaltenem Retinaculum flexorum ist daher äußerst schwierig und gelingt auch sehr erfahrenen handchirurgischen Operateuren nicht immer zweifelsfrei. In jedem Fall wurde bei der Revisionsoperation ausweislich des Operationsberichtes keine Lupenbrille getragen, sodass dies die Aussagekraft weiter deutlich einschränkt.“

Fazit

Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, Dokumentationspflichten in den Alltag aufzunehmen, sie ernst zu nehmen und ihre Erfüllung von Zeit zu Zeit zu hinterfragen. Dann ist ein wichtiges Element in der erfolgreichen Beweisführung garantiert und Haftungsrisiken werden minimiert.