Die Selbsteinschätzung der befragten Krankenhäuser in einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts aus dem Jahr 2019 ist bezeichnend. Mehr als 80 Prozent haben angegeben, dass sich ihre Personalbesetzung in der Pflege durch die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) nicht oder kaum verbessert hat. Woran könnte dies liegen? Was hat die PpUGV bewirkt? Marius Reddig, Jurist im Unternehmensbereich Financial Lines unserer Unternehmensgruppe, nimmt eine Bestandsaufnahme vor.

Zur Erinnerung: Das Bundesgesundheitsministerium drängte zur Sicherstellung der Patientenversorgung im Jahr 2018 auf die Vereinbarung von zwingenden Personaluntergrenzen im Verhältnis von Pflegepersonal zu Patienten. Da sich die Verhandlungsparteien Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband Bund der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) nach monatelangen Diskussionen nicht einigen konnten, übernahm Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Grenzsetzung in zunächst vier als pflegesensitiv bezeichneten Bereichen (Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie). Die ersten Grenzen gelten seit Beginn des Jahres 2019. In der COVID-19-Pandemie ist die Verordnung ausgesetzt worden, betrachtet werden soll aber hier die Zeit davor.
 

Untergrenzen sind schwer zu halten

Zwar haben rund 45 Prozent der Krankenhäuser nach eigener Aussage Stellen in den betroffenen pflegesensitiven Bereichen angebaut, gleichwohl tun sich fast alle mit der Einhaltung der Personaluntergrenzen schwer.

92 Prozent der befragten Krankenhäuser gaben dennoch an, die Personaluntergrenzen zu erfüllen – allerdings regelmäßig auf eigene Kosten und zu Lasten des eigenen Personals. Aufgrund der schwierigen Personalgewinnung – hier zeigt sich der wohlbekannte Fachkräftemangel – lässt sich das erforderliche Verhältnis von Patienten zu Pflegepersonal anscheinend nur durch eine Anpassung der Bettenkapazität oder eine Mehrbelastung des vorhandenen Personals einhalten.

Gut 30 Prozent der Kliniken gaben in der Umfrage an, dass zwischenzeitlich Betten in den pflegesensitiven Bereichen für Neuaufnahmen gesperrt wurden. In ebenso vielen Häusern wurden kurzzeitig sogar ganze Bereiche von der Notfallversorgung abgemeldet. Nur so konnten die Patientenzahlen gedrückt und die Grenzen eingehalten werden.
 

Größte Herausforderung: Dienstpläne anpassen

Eine taggenaue Dienstplananpassung wird von zwei Dritteln aller Krankenhäuser als erforderlich und von fast allen als größte Herausforderung angesehen. Damit kurzfristige Personalausfälle kompensiert werden können und nicht direkt die Bettenbelegung zurückgefahren werden muss, haben 40 Prozent der Häuser bereits Pflegekräfte aus der wohlverdienten Freizeit zurückgeholt.

Nur zehn Prozent der Krankenhäuser haben bisher die Nichteinhaltung der Personaluntergrenzen rechtmäßig mit einem kurzfristigen, krankheitsbedingten Personalausfall, der im Ausmaß über das übliche Maß hinausgeht, oder mit einer starken Erhöhung der Patientenzahl begründen können.

Keine Aussage kann bisher dazu gemacht werden, ob und in welchem Umfang es zu Leistungskürzungen durch die Krankenkassen wegen der Unterschreitung der Personaluntergrenzen gekommen ist. Zahlen dazu sind bisher nicht bekannt. In diesen sauren Apfel müssen die betroffenen Krankenhäuser aber wohl beißen, denn alternativ hätten sie sonst vermutlich Mindereinnahmen durch Bettenstilllegungen gehabt – auch dies wäre bitter. Da es sich hier augenscheinlich um nicht vermeidbare finanzielle Belastungen des Krankenhauses handelt, wäre insoweit eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung nicht einschlägig.
 

Entspannung nicht in Sicht

Auch in der zweiten Runde zur Überarbeitung und Erweiterung der PpUGV haben sich die DKG und die GKV im Jahr 2019 nicht auf eine Lösung verständigt. Abermals griff der Bundesgesundheitsminister ein und führte im Wege der Ersatzvornahme zum 1. Januar 2020 vier weitere pflegesensitive Bereiche ein, für die nun Personaluntergrenzen gelten (Herzchirurgie, Neurologie, neurologische Frührehabilitation und neurologische Schlaganfalleinheit/Stroke Unit). Entspannen wird sich die Situation für die Krankenhäuser und vor allem für das Pflegepersonal in absehbarer Zeit deshalb jedenfalls nicht. Helfen würde allen, den im Vordergrund stehenden Patienten wie auch den Krankenhäusern, vermutlich nur die lang ersehnte Lösung des Fachkräftemangels. Nur woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Marius Reddig
marius.reddig@ecclesia-gruppe.de