Wenn am Anfang einer Zugstrecke eine Weiche falsch gestellt wird, rollt die Bahn in eine völlig andere Richtung als vorgesehen. So ähnlich verhält es sich letztlich auch in der Rettungskette: Gehen bei der Übergabe eines Patienten vom Rettungsdienst an die Zentrale Notaufnahme wichtige Informationen verloren, wirkt sich das möglicherweise auf den gesamten weiteren Therapieverlauf aus. Deshalb ist es notwendig, das Risikomanagement auch auf den präklinischen Bereich auszuweiten. Frederik Meilwes, klinischer Risikomanager bei der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung, examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger und Rettungssanitäter, hat sich für das neu erschienene Buch „Patientensicherheitsmanagement“ mit diesem Thema befasst.

Notfalleinsatz: Rettungswagen und Notarzt eilen zur Einsatzstelle. Das ist hunderttausendfach Alltag in der Bundesrepublik, die eines der weltweit führenden, sehr engmaschigen Rettungsdienst-Systeme vorhält. Aber auch hier ergeben sich bei genauerem Hinsehen noch Verbesserungsmöglichkeiten.

„Risikomanagement hat im Rettungsdienst noch nicht den Stellenwert wie im Krankenhaus. In den meisten Curricula taucht das Thema nur beiläufig im Bereich des Qualitätsmanagements auf“, hat Frederik Meilwes bei der Arbeit für seinen Beitrag in dem Buch „Patientensicherheitsmanagement“ festgestellt. Er hat einige kritische Punkte herausgearbeitet. Wesentlich sei die richtige Kommunikation zwischen den einzelnen handelnden Parteien. So könne es bereits Informationsverluste in der präklinischen Versorgung geben, beispielsweise bei der Übergabe der Situation vom zuerst eingetroffenen Rettungswagenteam an den Notarzt.

Weil Rettungswagen und Notarzt oft im „Rendezvous“-System fahren, treffen am Einsatzort möglicherweise zwei Teams aufeinander, die ad hoc in einer potenziell kritischen Situation miteinander funktionieren müssen, ohne jemals vorher bereits gemeinsam trainiert oder miteinander gearbeitet zu haben. Natürlich sind alle Beteiligten für diese Situation ausgebildet, dennoch muss sich ein schnelles Verständnis für den jeweils anderen quasi von selbst ergeben, damit alles „wie am Schnürchen“ klappt. Unter den besonderen Bedingungen der Situation, in der viele Fragen gleichzeitig behandelt und ein komplexer Ablauf beherrscht werden muss, fallen Fehler oftmals gar nicht auf oder werden sogar wohlmeinend unter den Teppich gekehrt. Schließlich arbeiten auch hier nur Menschen.

Ein Report-System für „Beinahe-Fälle“ wie es in der Kliniklandschaft mit dem CIRS (Critical Incident Reporting System) schon verankert ist, könnte hier eine Möglichkeit geben, kritische Situationen in Warnungen und Verbesserungsbeispiele umzuwandeln. Frederik Meilwes bringt außerdem eine Ombudsstelle ins Gespräch, an die Fehler und Verstöße neutral oder anonym gemeldet werden können. Eine weitere Möglichkeit der Qualitätssicherung sieht er in Auditierungen: Eine Expertin oder ein Experte aus den Fachschulen für die Notfallsanitäter-Ausbildung begleitet als „dritte Kraft“ die Rettungswagenbesatzung und gibt hinterher Hinweise für die Verbesserung der Abläufe und der Kommunikation.  

Ein weiterer neuralgischer Punkt sei die Schnittstelle zwischen Präklinik und Klinik, erklärt der Fachmann. „Eine systematische Übergabe zwischen Rettungsdienst und Zentraler Notaufnahme ist elementar“, unterstreicht Frederik Meilwes. „Informationen, die in diesem Prozess verloren gehen, sind gegebenenfalls nicht reproduzierbar.“ Aber in einer Onlineumfrage der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin zeigte sich, dass von den mehr als 2.300 Teilnehmenden 39 Prozent kein Übergabeschema kennen und fast 59 Prozent kein bekanntes Übergabeschema anwenden. Der Rettungsdienst und die Notaufnahme fordern ein solches Schema in der Regel auch nicht bei Übergabeprozessen ein.

Dabei gibt es dafür bereits Vorbilder. Das ABCDE-Schema ist für eine strukturierte Erstuntersuchung von Notfallpatienten entwickelt worden und richtet sich nach den relevanten Untersuchungsaspekten, indem es dem Grundsatz folgt „treat first what kills first“. Es greift unter anderem Ansprechbarkeit, Blutungen, Atmung, Kreislauffunktion auf. Das „Sampler(S)-Schema“ fasst die weiteren Aspekte der medizinischen Vorgeschichte zusammen (unter anderem Allergien, Medikation, Risikofaktoren). Frederik Meilwes: „In Kombination angewendet stellen diese Schemata eine gute Grundlage für eine systematisierte Übergabe dar.“

Ferner gebe es wenig bis gar kein regelhaftes Feedback aus den Krankenhäusern in Richtung Rettungsdienst. „Hier ist eine bessere Vernetzung notwendig“, schlussfolgert Frederik Meilwes. Denn oftmals nehme das Personal des Rettungsdienstes direkte Konsequenzen aus fehlerhaftem Handeln nicht mehr wahr, zum Beispiel, wenn die Wirkung eines fehlerhaft gegebenen Medikamentes erst in der Klinik einsetzt. Auch Meldesysteme für kritische Ereignisse seien im Rettungsdienst noch längst nicht flächendeckend vorhanden. Aber in Bayern existiert bereits ein CIRS-Netz, in dem Rettungsdienst und Notaufnahmen miteinander verbunden sind und so Rückkopplungen möglich sind. „Hier sind die Träger des Rettungsdienstes gefordert, dieses Vorbild auf andere Bundesländer zu übertragen und möglichst bundesweit zu öffnen“, sagt Frederik Meilwes.

„Es zeigt sich, dass eine funktionierende und einheitliche Kommunikation eine wichtige Präventionsstrategie des präklinischen Risikomanagements darstellt“, zieht er als Fazit. „Wie so oft scheitert es nicht an Ideen oder vorhandenen Instrumenten, sondern an deren Nutzung und Umsetzung.“ Ein stringent verfolgter systematischer Risikoansatz könne zur weiteren Verbesserung des bereits guten deutschen Rettungssystems beitragen.