Das Bundessozialgericht hat am 19. März 2020 seine bisher geltende Rechtsprechung bestätigt und weiterentwickelt: Demnach ist eine ordnungsgemäße Aufklärung von Patientinnen und Patienten eine Voraussetzung dafür, dass ein Krankenhaus einen Vergütungsanspruch hat. Sandra Miller, Fachjuristin für Medizinrecht in unserer Unternehmensgruppe, fasst den vorliegenden Fall und das Urteil zusammen.

 

Der Fall

Ein Krankenhaus nimmt die gesetzliche Krankenversicherung für die Vergütung von Behandlungskosten einer Stammzellentransplantation in Anspruch. Der Patient leidet seit Jahren an Lymphdrüsenkrebs. Knapp drei Monate nach der Therapie verstirbt er an den Folgen einer Sepsis mit Multiorganversagen.

Die Krankenkasse vergütet zunächst die Behandlung, reduziert die Vergütung aber später auf die Hälfte, weil sie die Voraussetzungen für die Zahlung nicht erfüllt sieht. Daraufhin klagt das Krankenhaus gegen die Krankenkasse bis vor das Bundessozialgericht.
 

Voraussetzungen für Zahlungspflicht

Eine Zahlungspflicht der Krankenkasse setzt grundsätzlich drei Dinge voraus: Die medizinische Leistung muss in Anspruch genommen worden sein. Die Therapie musste erforderlich (Qualitätsgebot) und wirtschaftlich (Wirtschaftlichkeitsgebot) sein. Das Erfordernis einer Maßnahme richtet sich dabei nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Die Therapie muss in einer für die sicherere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Steht keine Standardtherapie zur Verfügung, gelten im Falle lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlicher Erkrankungen abgesenkte Qualitätsanforderungen. Hier muss die gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung versprechen. Oder die Behandlung muss den Krankheitsverlauf wenigstens spürbar positiv beeinflussen. Zudem muss sie den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot erfordert, dass der oder die Versicherte die Entscheidung für eine Therapie auf der Grundlage von ausreichenden Informationen trifft.
 

Das Urteil: Sorgfältige Aufklärung über Chancen und Risiken fehlte

Das Bundessozialgericht stellt in diesem Fall die Einhaltung des Qualitätsgebots fest. Die Stammzellentransplantation war erfolgversprechend und wurde nach den Regeln ärztlicher Kunst durchgeführt.

Eine ordnungsgemäße Aufklärung zur Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots kann das Gericht allerdings nicht feststellen. Das Gericht orientiert sich bei der Beurteilung an den Grundsätzen, die die zivilgerichtliche Rechtsprechung entwickelt hat. Demnach muss der oder die Versicherte über die Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Stehen mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten, muss der/die Patient/-in hierüber aufgeklärt werden. Dies gilt umso mehr, wenn mit einer der Behandlungsmöglichkeiten ein hohes Mortalitätsrisiko verbunden ist. Dies erfordert eine besonders sorgfältige Aufklärung über die relevanten Aspekte – erst recht, wenn es sich um einen (noch) nicht dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechenden Therapieansatz handelt. Der/die Patient/-in muss wissen, worauf er/sie sich einlässt. Nur so kann ein Mensch abwägen, ob er aufgrund der Erfolgsaussichten die Risiken einer solchen Behandlung eingehen will.
 

Je höher das Mortalitätsrisiko, desto höhere Anforderung an Aufklärung und Nachweis

Schließlich befasst sich das Gericht mit der Frage des Nachweises einer ordnungsgemäßen Aufklärung. Es dürfen hieran keine unbilligen oder übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Ist die Aufklärung nicht dokumentiert, kann das Krankenhaus den Nachweis gleichwohl noch führen. Das von ärztlicher Seite und von Patientenseite unterzeichnete Formular ist lediglich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs. Je größer das Mortalitätsrisiko und je geringer oder zumindest unsicherer die Erfolgsaussichten der Behandlung sind, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung zu stellen. Bei einer Behandlung mit hohem Mortalitätsrisiko, die nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und im Grenzbereich zur experimentellen Behandlung liegt, muss konkret gefragt werden: Hat das Krankenhaus den Patienten/die Patientin über die relevanten Aspekte der abstrakten und der konkret-individuellen Chancen, der Risiken und der Risikoabwägung aufgeklärt? Wenn ja, durch wen genau und wie? Hier genügt es nicht, wenn das Krankenhaus nur darlegt, was bei ihm üblicherweise geschieht.

Soweit es das therapeutische Zeitfenster zulässt, muss auch feststehen, dass die Patientin oder der Patient rechtzeitig genug aufgeklärt wurde, um das Für und Wider des Eingriffs abzuwägen. Nur dann kann ein Mensch seine Entscheidungsfreiheit angemessen ausüben.
 

Behandlungsoptionen wurden nicht ausreichend erörtert

In diesem Fall kann das Gericht eine ordnungsgemäße Aufklärung anhand der vorgelegten Dokumentation nicht feststellen. Chancen und Risiken der Behandlung wurden nicht dokumentiert, ebenso wurden keine Risiken der speziellen Stammzellentransplantation erwähnt. Das Bundessozialgericht hat daher entschieden: Es fehlt die Feststellung, welche persönlichen Risikofaktoren tatsächlich erörtert wurden. Auch ist nicht nachweisbar, ob der Patient über denkbare Behandlungsoptionen und die Option einer Nichtbehandlung sowie die jeweiligen Chancen und Risiken hinreichend aufgeklärt wurde. Es weist die Angelegenheit zur weiteren Klärung an das Berufungsgericht zurück.
 

Fazit

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts zeigt einmal mehr die Wichtigkeit einer sorgfältigen Aufklärung und Dokumentation. Dies gilt umso mehr bei lebensbedrohlichen Maßnahmen oder solchen, über deren Anwendung noch kein hinreichender Konsens in der Medizin besteht. Diese Aspekte rücken zunehmend auch in den Fokus wirtschaftlicher Überlegungen der Krankenhäuser. Das Aufklärungsgespräch sollte daher sorgfältig geführt und die genannten Aspekte ausführlich dokumentiert werden.

Sandra Miller
sandra.miller@ecclesia-gruppe.de