„Hast Du Nerven …“, „Meine Nerven liegen blank“, „Das geht mir auf die Nerven“ – zum Thema „Nerven“ gibt es reichlich Redewendungen. Aber keine einzige gibt es im Zusammenhang mit Dokumentationspflichten. Dabei ist dieser Bezug, zumindest aus dem medizinischen beziehungsweise arzthaftungsrechtlichen Blickwinkel, von großer Bedeutung, betont Miriam Stüldt-Borsetzky, Juristin für Medizinrecht aus unserer Unternehmensgruppe.

Der Mensch hat sehr viele Nervenfasern. Würden diese zu Nervenbahnen gebündelt und in der Länge aneinandergelegt, so ergäbe sich bei einem Erwachsenen eine Länge von rund 5,8 Millionen Kilometern1. In der Neurologie geht es nicht nur darum, diese Anatomie und vieles mehr zu beherrschen, sondern es sollte auch an formale Dinge wie die ordnungsgemäße Dokumentation gedacht werden. Das folgende Beispiel zeigt es.
 

Der Fall

Bei einer Thymektomie, also der operativen Entfernung des Thymus, kam es zu einer Verletzung des Nervus phrenicus. Folge: eine eingeschränkte Lungenfunktion durch fortdauernden Zwerchfellhochstand. Der Fall mündete in einer Klage, und in der gutachterlichen Bewertung wurde der leider unumkehrbare Schluss gezogen, dass der Nerv bei einer ausreichenden Darstellung und Schonung nicht geschädigt worden wäre. Doch wie konnte es überhaupt zu der Schlussfolgerung kommen, dass der Nerv intraoperativ nicht geschont wurde?
 

Die Dokumentation war unvollständig

Eine wichtige Grundlage der Bewertung in arzthaftungsrechtlichen Angelegenheiten bildet stets die Dokumentation. In diesem Fall fehlten darin Ausführungen hinsichtlich der Darstellung und Schonung der Nerven. Damit konnte das operative Vorgehen im Hinblick auf die vorgefundenen lokalen Besonderheiten, die Präparationsschritte, ihre Reihenfolge und die Frage, ob die wichtigen Nerven dieses Operationsgebietes (Nervus vagus, phrenicus und recurrens) identifiziert beziehungsweise unter Sicht geschont wurden, nicht nachvollzogen werden.

Gerade die Verletzung der Nerven ist bei derartigen Operationen ein typisches Risiko, darum muss – so der Gutachter – der Operationsbericht ausführlich darauf eingehen. Im Gutachten heißt es: „In Kenntnis dieser eingriffstypischen Morbidität und Morbiditätsrate muss ein OP-Bericht ausführlich auf die präparatorische Darstellung und beabsichtigte Schonung dieser Nerven eingehen [...] Es findet sich ein Dokumentationsmangel [...] Daher ist davon auszugehen, dass tatsächlich keine Darstellung und keine Schonung erfolgte. [...] Bei Darstellung und Schonung wäre es nicht zu einer Verletzung des Nervus phrenicus gekommen.“ Ist jedoch eine Schonung nicht möglich, so muss der Bericht auch die Gründe detailliert aufführen.
 

Lückenhaftigkeit zeugt von nicht fachgerechter OP

Da die Operationsschritte im vorliegenden Fall nicht beschrieben worden waren, hat das Gericht sogar das „fachgerechte Durchführen der Operation“ an sich im Ergebnis schlicht verneint. In der Konsequenz erleichtert diese Annahme es dem Patienten, einen Behandlungsfehler nachzuweisen: Eine aufzeichnungspflichtige Maßnahme, die nicht dokumentiert ist, wurde auch nicht durchgeführt.

Derartige Schäden können im Einzelfall teuer werden. Die Rechtsprechung erkennt hier durchaus Schmerzensgelder zwischen 40.000 und 70.000 Euro zu. Eine solche Summe kann im Einzelfall nur dann reduziert werden, wenn der Patient zum Beispiel entsprechende Vorerkrankungen aufweist. Genau so lag es in diesem Fall, der Patient erhielt bei einem zügig angestrebten Vergleich eine Summe von 20.000 Euro. Ein Gerichtsverfahren wurde vermieden. Aber diese Aussichten gibt es nicht immer.
 

Fazit: wissen und akzeptieren

Der Dokumentation kann eine entscheidende Rolle in der Beweisführung zukommen. Nur bei Einhaltung der Dokumentationspflichten können Beweiserleichterungen der Patientenseite und in der Folge Schmerzensgeldzahlungen vermieden werden. Schulungen, die die Hintergründe nachhaltig verdeutlichen und diese formalen Pflichten nicht nur genervt betrachten, können dabei ein wichtiges Mittel darstellen, um die Akzeptanz der Dokumentationspflichten zu erhöhen. Zusätzlich empfiehlt sich auch ein Dokumentationsleitfaden.
 

Miriam Stüldt-Borsetzky
miriam.stueldt-borsetzky@egas.de

 


1https://www.qualitaetskliniken.de/news/fakten-freitag-nervenbahnen/