Einsamkeit macht krank
Die Komplettschließung von Heimen und Einrichtungen für Besucher wird von Seiten der Politik aktuell nicht mehr angeordnet. Infolge steigender Infektionszahlen führten jedoch viele Pflegeheime, Senioren- und Behinderteneinrichtungen im Herbst des vergangenen Jahres erneut Einschränkungen bei den Besuchsmöglichkeiten ein. Im vergangenen Frühjahr hatten derartige Verbote bereits dazu geführt, dass Bewohner der Einrichtungen vielerorts über Wochen und Monate ihre Angehörigen nicht sehen durften. Nicht selten waren auch persönliche Visiten von Seelsorgern pandemiebedingt nicht gestattet. So sind viele Menschen einsam gestorben, und Angehörige beklagen, dass sie ihren Lieben vor deren Tod nicht beistehen und sich nicht von ihnen verabschieden konnten. Selbst sehr bemühte Pflegekräfte können – insbesondere in Anbetracht des herrschenden Personalmangels – die Fürsorge der eigenen Familie nicht ersetzen. Trotz des bereits angelaufenen Impfprogramms in Alten- und Pflegeheimen wird aufgrund von Unsicherheiten in Zusammenhang mit Virus-Mutationen und Corona-Ausbrüchen nach erfolgter Impfung zunächst überwiegend von Lockerungen der Besuchsregelungen abgesehen.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Beistand von Angehörigen das Schmerzempfinden lindern und den Genesungsprozess von Kranken unterstützen kann. Einsamkeit, das heißt, der subjektiv empfundene Mangel der Intensität und Häufigkeit eigener sozialer Kontakte, kann sich diversen Studien zufolge sehr negativ auf die Gesundheit der Betroffenen auswirken. Laut einer Kohortenstudie der Universität Helsinki von 2018 erhöht Einsamkeit das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einen Schlaganfall beziehungsweise Herzinfarkt zu erleiden oder frühzeitig zu versterben.
Verletzliche Gruppen vor sozialer Isolation schützen
Diverse kirchliche Akteure, so auch die Deutsche Bischofskonferenz und der EKD-Ratsvorsitzende, forderten, dass Alte, Kranke und Sterbende, aber auch Angehörige, nicht erneut allein gelassen werden dürfen. In ihrem Beschluss vom 14. Oktober 2020 rief auch die Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder dazu auf, vulnerable Gruppen vor sozialer Isolation zu schützen.
Dieser Beschluss fand Eingang in diverse Landesverordnungen. So heißt es beispielsweise in §5 (1) der Corona-Schutzverordnung für Nordrhein-Westfalen vom 7. Januar, dass Regelungen „nicht zu einer vollständigen Isolation der Betroffenen führen“ dürften. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus haben am 4. Dezember eine Handreichung vorgestellt, die Einrichtungen der stationären Langzeitpflege dabei helfen soll, sichere Besuche mit möglichst wenigen Einschränkungen zu ermöglichen. Den Betreibern wird empfohlen, Bewohnerinnen und Bewohner in die ortspezifischen Besuchskonzepte einzubinden und auf deren soziale Bedürfnisse unter Beachtung der Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes weitestgehend einzugehen. Daneben enthält die Handreichung Leitlinien für die Ausgestaltung der Besuchsinfrastruktur sowie für die Vorbereitung und Durchführung sicherer Besuche.
Ideen: Besuchsbox oder Tablet für „Besuche“
Viele Alten- und Pflegeheime haben Besuchskonzepte entwickelt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen. Beispielsweise wurden mancherorts Besuchsboxen mit Plexiglas-Trennwänden und Tonanlagen ausgestattet beziehungsweise geschützte Besuchsräume eingerichtet. Auch digitale Lösungen kommen zum Tragen. In Hessen wurden stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen flächendeckend mit Tablets ausgestattet, um es älteren und/oder pflegebedürftigen Menschen zu ermöglichen, online mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben.
Mehr Aufwand für Pflegekräfte
Allerdings bedeuten solche Schutzvorkehrungen mehr Arbeitsaufwand für die ohnehin stark belasteten Pflegekräfte. Die Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass auch die Anwendung der Antigen-Schnelltests durch Pflegekräfte zeitliche Ressourcen bindet. Sie schlägt vor, dass die von der originären Pflegetätigkeit abweichenden „flankierenden Aufgaben wie Transportdienste oder die Schulung für den Umgang mit Tablets“ von externen Dienstleistern erbracht werden könnten. Oder die fachgerechte Anwendung von Corona-Schnelltests könnte mithilfe von medizinischem Fachpersonal sichergestellt werden. Da auch im medizinischen Bereich Personalmangel vorherrsche, sei die „Reaktivierung“ von Arzthelferinnen im Ruhestand und die Unterstützung durch Fachkräfte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu erwägen. Eine große Unterstützung werde bereits in vielen Einrichtungen durch die Bundeswehr geleistet.
Über Best-Practice digital austauschen
Die Heimleitungen müssen bei der Erstellung von Besuchskonzepten neben dem Schutz und den sozialen Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner auch den Schutz der Mitarbeitenden vor Ansteckungen berücksichtigen, zumal infizierte Pflegekräfte einen ersatzlosen Ausfall im Arbeitsalltag bedeuten. Ein Austausch* könnte helfen, Best-Practice-Ansätze, beispielsweise bewährte Besuchskonzepte, bekannt zu machen und mögliche Unsicherheiten zu verringern. Es bietet sich daher die Einrichtung einer digitalen Plattform an, um Führungskräfte miteinander zu vernetzen.
CIRS-Plattform nutzen
Für Krankenhäuser besteht seit langem die Möglichkeit, sich über eine Critical-Incident-Reporting-System (CIRS)-Plattform auszutauschen. Und über eine bereits verfügbare COVID-19-CIRS-Plattform können Krankenhäuser aktuell Organisations- und Kommunikationsdefizite zu kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung erfassen. Alle Benutzer der Plattform können so aus den Fehlern oder Beinahe-Fehlern anderer Nutzer lernen. Auch wenn der Fokus dabei primär auf der Patientensicherheit liegt, wird ebenfalls die Möglichkeit geboten, sich zu gelungenen Vorbereitungsstrategien, kreativen Lösungen und erfolgreichen Prozessgestaltungen in Zeiten der aktuellen Pandemie auszutauschen. Eine derartige digitale Plattform könnte den Wissenstransfer der Alten- und Pflegeeinrichtungen untereinander im Umgang mit der COVID-19-Pandemie und darüber hinaus erleichtern und somit dem Pflegesektor einen Mehrwert bieten.
Der Vereinsamung entgegenwirken
Der Einsatz flankierender Dienstleistender für pflegefremde Tätigkeiten sowie der Einsatz einer digitalen Wissenstransfer-Plattform im Bereich der stationären Altenpflege könnten dazu beitragen, dass Einrichtungen unter Einhaltung der Regelungen des Robert-Koch-Instituts für Besucherinnen und Besucher sowie für Seelsorgerinnen und Seelsorger zugänglich bleiben. So lässt sich der drohenden Vereinsamung von Bewohnern effizient entgegenwirken.
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