Bei ambulanten Operationen und diagnostischen Eingriffen genügt eine Aufklärung am Operationstag, sofern der Patientin oder dem Patienten die Entscheidung überlassen bleibt, ob der Eingriff durchgeführt werden soll. Vorbereitungshandlungen, die der ärztlichen Maßnahme an demselben Tag zwingend vorgeschaltet sind, können die Abfolge der Geschehnisse beeinflussen und sogar durcheinanderbringen. Ob dies unter Haftungsgesichtspunkten Beachtung finden sollte, erläutert Miriam Stüldt-Borsetzky, Medizinrechtlerin in unserer Unternehmensgruppe.

Bereits vor 27 Jahren entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass eine Aufklärung der Patientin oder des Patienten am Tag eines ambulanten Eingriffs ausreichend sein kann1. Dies trage den organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhausbetriebes Rechnung, setze aber voraus, so der BGH, dass der Patientin oder dem Patienten Gelegenheit zur Entscheidung gegeben werde, ob sie beziehungsweise er den Eingriff durchführen lassen wolle. Der BGH verneinte dies für solche Situationen, in denen der Patientin oder dem Patienten der Eindruck vermittelt werde, sich nicht mehr „aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf“ lösen zu können. Auch für umfangreiche oder mit erheblichen Risiken versehene ambulante Eingriffe gilt, dass eine Aufklärung am Tag des Eingriffs als verspätet anzusehen ist.

Einige Fallbeispiele und die dazugehörigen Gerichtsurteile

Zahlreiche Gerichtsurteile zeigen beispielhaft, wie unterschiedlich und einzelfallabhängig medizinische Maßnahmen zu bewerten sind:

Eine Aufklärung am Tag einer Herzkatheteruntersuchung ist verspätet, wenn sie Teil eines stationären Aufenthalts ist (so OLG Hamm, Urteil vom 15.06.2005, 3 U 289/04). Sie erfolgt aber rechtzeitig, wenn es sich um eine ambulante Untersuchung handelt (OLG Düsseldorf vom 23.11.1995, 8 U 157/94).

Eine Aufklärung am Tag einer laparoskopischen Entfernung einer Ovarialzyste nebst Eierstock und Eileiter ist vom OLG Oldenburg nicht beanstandet worden (Urteil vom 25.03.1997, 5 U 184/96). Die Richter führten zusätzlich aus, dass von einer Ärztin oder einem Arzt nicht verlangt werden könne, „eine zu dem Eingriff nach freier Willensbildung entschlossene Patientin gegen ihren Willen wegzuschicken, nur um einen abstrakten Zeitrahmen einzuhalten“.

Eine Aufklärung direkt vor dem Legen eines Venenverweilkatheters im Rahmen einer ambulanten Behandlung ist vom OLG Stuttgart als rechtzeitig angesehen worden (Urteil vom 27.02.2001, 14 U 49/01).

Eine Aufklärung zu einer Gebärmutterausschabung mit einem direkt im Anschluss an das Gespräch verabreichten Prostaglandinzäpfchen ist indes als nicht rechtzeitig angesehen worden (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.09.2000, 14 U 4/00).

Ist bereits eine Prämedikation zur Vorbereitung des Eingriffs erfolgt und findet die Aufklärung zu einer diagnostischen Maßnahme bei Verdachtsdiagnose eines Mammakar­zinoms erst danach statt, so hat diese zu spät stattgefunden, so das OLG Düsseldorf (Urteil vom 10.10.2002).

Ein weiterer Fall: Verletzung der Darmwand bei Koloskopie

Wann ist ein Geschehensablauf bereits in Gang gesetzt worden? Diese Frage ist insbesondere dann nicht leicht zu beantworten, wenn dem Eingriff Vorbereitungshandlungen vorgeschaltet sind. Unabhängig von ihrer medizinischen Wirkung können sie auch darüber hinaus von Patientinnen und Patienten als belastend empfunden werden. Dies zeigt ein Beschluss des OLG Dresden vom 16.03.2020 (4 U 2626/19):

In dem Fall unterzog sich ein Patient einer Koloskopie. Dabei kam es zu einer Verletzung der Darmwand. Der Patient monierte neben einem an sich fehlerhaften medizinischen Vorgehen bei dem Eingriff auch eine nicht rechtzeitige und damit unwirksame Aufklärung.

Das Gutachten

Bei dem medizinischen Vorgehen erkannten die Richter keinen Behandlungsfehler. Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Aufklärung nahmen sie eine Abwägung vor.

Am Tag des Eingriffs musste sich der Patient zunächst der „lästigen Prozedur einer Darmreinigung“ unterziehen, so beschrieb es das Gericht in der Urteilsbegründung. Erst nach deren Abschluss erfolgte das Aufklärungsgespräch.

Der anwaltlich vertretene Patient trug vor, mit der Einnahme des Darmreinigers habe der Eingriff, zu dem er erst im Nachhinein aufgeklärt worden sei, bereits begonnen. Zudem habe er sich mit diesem als unangenehm empfundenen Geschehen unter einen Entscheidungsdruck gesetzt gefühlt, der ihm einen freien Entschluss nicht mehr ermöglicht habe.

Das Urteil

Die Richter sahen dies jedoch anders. Sie werteten die Darmreinigung zwar als klassische Vorbereitungshandlung einer Koloskopie, deren Beginn einer wirksamen Einwilligung aber nicht entgegenstehe, auch wenn sie unangenehm sei. Im Ergebnis wurde die Berufung zurückgewiesen.

Fazit und vorbeugende Maßnahmen

Eine Aufklärung am Tag einer ambulanten Operation oder eines diagnostischen Eingriffs ist zulässig, solange der Patientin oder dem Patienten noch genügend Entscheidungsspielraum verbleibt, um die Gründe, die für und gegen den Eingriff sprechen, vor dem Hintergrund der Art und Schwere der Behandlung abzuwägen.

Vorbereitungshandlungen, die geeignet sind, die Patientin oder den Patienten unter einen gewissen Entscheidungsdruck zu setzen, sollten in angemessenem zeitlichen Abstand nach dem Gespräch stattfinden.

Medikamente, die die Fähigkeit einschränken, Entscheidungen zu treffen, sollten mit derartigem Abstand zum Gespräch verabreicht werden, dass die Patientin/der Patient noch in der Lage ist, eine freie, bewusste Entscheidung zu fällen.

Es empfiehlt sich aus Haftungsgesichtspunkten, feste Standards zu entwickeln, die den Tagesablauf und die Reihenfolge von Aufklärungsgespräch und Vorbereitungshandlungen regeln. Damit kann unliebsamen Einzelfallentscheidungen bestmöglich entgegengetreten werden.
 


1 BGH-Urteil vom 14.06.1994, VI ZR 178/93.