Seit einigen Jahren ist der Begriff ESG in aller Munde und wird auch weiterhin als eines der großen Themen der Gegenwart und Zukunft gehandelt. Meike Borgelt aus dem Bereich Financial Lines gibt einen Einblick, was hinter diesem Begriff steht und welche Relevanz das Thema für Global Player, aber auch für kleinere Betriebe und Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft sowie gemeinnützige Organisationen hat.
 

E rst im Juni 2022 wurde die neueste Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) vom Bundesjustizministerium bekannt gegeben, die keinen Zweifel daran lässt, dass eine in sozialer und ökologischer Hinsicht nachhaltige Unternehmensstrategie künftig als unabdingbarer Bestandteil einer erfolgreichen und prospektiven Unternehmensführung gälte.

Nicht zuletzt der Green Deal, im Zuge dessen die EU-Finanzmittel in nachhaltige Projekte gelenkt werden, um auf die allgegenwärtige Umwelt- und Klimakrise zu reagieren, zwingt die Unternehmensführungen, die ESG-Faktoren im Blick zu behalten, um langfristig erfolgreich wirtschaften zu können und den bei Nichtbeachtung dieser Faktoren entstehenden Haftungsrisiken zu entgehen.

Die ständig zunehmende Regelungsdichte – insbesondere das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sowie die geplante Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – zwingt die Wirtschaftsteilnehmenden in allen Sektoren dazu, ihre unternehmensinternen Risiko- und Krisenmanagementsysteme auf die neuen Anforderungen anzupassen. Betroffen sind davon nicht nur Global Player, sondern nunmehr auch kleinere Betriebe und Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft sowie gemeinnützige Unternehmen.

Was ist überhaupt ESG?

Die Abkürzung ESG steht für die drei Bereiche „Environmental, Social und Governance“, ins Deutsche übersetzt: „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“. Dahinter verbergen sich ethische Standards, zu denen sich Unternehmen bekennen, um einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in der Wirtschaft zu leisten, der – zumindest teilweise – über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht.

Zugleich ermöglicht ESG die Bewertung der gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens im Hinblick auf dessen soziale und ökologische Führung und somit auch seiner Zukunftsfähigkeit.

Zum Oberbegriff ESG gehören somit vielfältige Themenbereiche, die sich auf alle Kernbereiche der Unternehmensführung wie Compliance, Arbeitnehmerrechte, Chancengleichheit und Umweltschutz, verteilen. 

Teilweise finden sich die entsprechenden Regelungen noch im Bereich der sogenannten „soft laws“, also in (noch) nicht verbindlichen Absichtserklärungen und Leitlinien. In immer größer werdendem Maße und vor allem in einem beachtlichen Tempo werden diese Bereiche jedoch vom europäischen und nationalen Normgeber kodifiziert und somit zu „hard laws“.

Haftungsrisiken

Was bedeutet das für den Vorstand, die Geschäftsführung sowie den Aufsichtsrat und was hat das mit deren Haftung zu tun? Die Mischung aus Klimaschutz und neuen gesellschaftlichen Verantwortungen bewirkt Veränderungen mit großer Dynamik und stellt die Unternehmen damit vor Herausforderungen, die neben Entwicklungschancen und Impulsen auch neue Risiken mit sich bringen.

Um dem Wandel des bisherigen Wirtschaftsmodells Rechnung zu tragen und ihre Sorgfaltspflichten – etwa gemäß § 93 I AktG, § 43 GmbHG und § 116 AktG – zu erfüllen, müssen die Entscheidungsträger die neuen ESG-Kriterien erfüllen und im Extremfall sogar eine Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells vornehmen. Es gibt dabei keinen starren Pflichtenkatalog, an dem man sich orientieren kann. Vielmehr befinden sich die Sorgfaltspflichten in einem konstanten Entwicklungsprozess. Um die im Einzelfall geltenden Sorgfaltspflichten einhalten zu können, besteht die erste Herausforderung daher darin, die eigenen Pflichten richtig einzuschätzen und an alle neuen Entwicklungen – gerade im Bereich ESG – sowohl auf normativer als auch gesellschaftlicher Ebene anzupassen.

In erster Linie besteht selbstverständlich die Pflicht, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Wenn ein Vorstand oder Geschäftsführer diesen Legalitätspflichten nicht ausreichend nachkommt und konkrete ESG-bezogene Vorgaben nicht erfüllt, bedeutet dies in rechtlicher Konsequenz, dass neben empfindlichen Bußgeldern auch eine persönliche Haftung dem Unternehmen gegenüber zum Ersatz der entstandenen Schäden droht. 

Das den Unternehmensverantwortlichen außerhalb der Legalitätspflicht durch die „Business Judgement Rule“ eingeräumte Ermessen kann zudem nur dann ausgeübt werden, wenn zunächst alle maßgeblichen sozialen und ökologischen Faktoren nebst Handlungsvorschriften und den sich aus ihnen ergebenden Risiken und Möglichkeiten ermittelt wurden. Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat sind also gut beraten, sich umfassend und fortlaufend mit den ESG-Kriterien auseinanderzusetzen.

Zusätzlich zu dieser ganz klassischen unternehmensbezogenen Sichtweise machen die aktuellen normativen Entwicklungen deutlich, dass den Unternehmen mehr und mehr auch eine umfassende Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft abverlangt wird. Der Begriff „Corporate Social Responsibility“ (CSR) ist dabei seit einigen Jahren vorherrschend. Dieser Gedanke beruht auf der Erkenntnis, dass Unternehmen nicht nur von den äußeren Gegebenheiten wie Klimawandel und sozialen Entwicklungen beeinflusst werden, sondern diese auch selbst beeinflussen und dafür die Verantwortung tragen müssen. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist langfristige Planung erforderlich, die sogar unmittelbar nachteilige Geschäfte und Entscheidungen rechtfertigt, sofern diese vernünftigerweise langfristige Vorteile erwarten lassen. 

Die Beachtung der ESG-Themen ist aber auch für die Gewährleistung langfristiger Wettbewerbsfähigkeit sowie das Verhindern von Reputationsschäden wichtig, da sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Verbraucherinnen und Verbraucher immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit und ethische Korrektheit legen. Somit kann letztlich sogar eine gesetzeskonforme, aber gesellschaftlich unerwünschte Unternehmensführung zu Vermögensschäden durch Reputationsverlust und Wettbewerbsnachteile führen.

Beispiele

Ein aktuelles Beispiel für Schäden in Folge von Reputationsverlust und damit einhergehende finanzielle Einbußen ist das jüngste Schicksal des als besonders nachhaltig und umweltfreundlich geltenden Unternehmens „Oatly“, welches durch vegane Milchprodukte auch in Deutschland sehr bekannt geworden ist. Die Firma sah sich mit massenhaftem Boykott durch die Konsumentinnen und Konsumenten konfrontiert, nachdem auf Twitter bekannt gemacht wurde, dass Unternehmensanteile an den Investor Blackstone – dem eine Beteiligung an Rodungen im Amazonasgebiet nachgesagt wird – veräußert wurden. 

In den vergangenen Jahren gingen zudem mehrere große „Klima-Klagen“ durch die Presse, in denen Weltkonzerne für ihr umweltschädigendes Verhalten von Einzelpersonen oder kleineren Gruppen zur Rechenschaft gezogen wurden. Hier werden insbesondere Schadenersatzansprüche auf Grundlage der §§ 823 ff. BGB sowie § 1 Umwelthaftungsgesetz geltend gemacht. Am bekanntesten ist dabei wohl der Fall eines peruanischen Andenbauers, der vom Energieriesen RWE eine anteilige Übernahme der Kosten für Schutzmaßnahmen seines Dorfes gegen die Folgen des Klimawandels verlangt. Das Dorf des Klägers droht im Falle einer zunehmenden Gletscherschmelze von einem nahe gelegenen Bergsee überflutet zu werden und die von RWE verursachten Emissionen werden dafür mitverantwortlich gemacht. Dieser Fall wird derzeit noch vor dem OLG Hamm verhandelt und zudem hat bereits ein Ortstermin in Peru mit Sachverständigen stattgefunden.

Auch durch das eingangs bereits erwähnte Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG), welches seit dem 1. Januar 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden im Inland sowie ab 2024 für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden gilt, werden neue Risiken geschaffen. Das LkSG gilt für sämtliche Branchen und Unternehmen aller Rechtsformen (§ 1 Abs. 1 S. 1 LkSG) und somit auch für Stiftungen, Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft und gemeinnützige Organisationen. Es normiert Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette, also für alle Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens – unabhängig, in welchen Ländern und von welchem Zulieferer diese erbracht werden. Die Unternehmen treffen fortan umfassende Sorgfaltspflichten im Hinblick auf menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken und sie müssen die notwendigen Strukturen einrichten, um Verstöße entlang der gesamten Lieferkette zu entdecken, zu beseitigen und in der Zukunft zu verhindern. Wenn diese Pflichten nicht erfüllt werden, droht neben empfindlichen Bußgeldern (§ 24 LkSG) und dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen (§ 22 LkSG) eine zivilrechtliche Haftung auf Grundlage der allgemeinen Haftungstatbestände sowie ein allgemeiner Reputationsverlust.

Fazit

Das Thema ESG bleibt ein relevantes Zukunftsthema, das die Unternehmensführungen nicht vernachlässigen sollten. Zu den Herausforderungen durch neue Richtlinien und Gesetze kommt noch hinzu, dass die gegenwärtige Klima- und Ressourcenkrise auch das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die sozialen und ökologischen Herausforderungen geschärft hat. Unternehmen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, riskieren in immer größerem Maße negative Folgen durch Reputationsverlust und damit einhergehend eine Beeinträchtigung des Unternehmenswertes.

Das Risiko des Reputationsverlustes besteht insbesondere in Zeiten von Social Media auch für kleinere lokale Unternehmen und soziale Einrichtungen, selbst wenn diese formell betrachtet vielleicht nicht zu den Normadressaten der neuen Gesetzgebung gehören. Durch die Schärfung des Nachhaltigkeitsbewusstseins der Öffentlichkeit geraten auch dortige Verstöße gegen neue ökologische oder soziale Standards schnell in den Fokus und können zu einem Boykott führen.

Nicht zuletzt sind zukünftig nicht mehr nur große kapitalmarktorientierte Unternehmen zum „ESG-Reporting“ nach der CSR-Richtlinie verpflichtet, sondern auch viele mittlere Unternehmen des Wohlfahrts- und Gesundheitssektors. Betroffen sind ab dem Geschäftsjahr 2025 bereits Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 40 Millionen Euro, was somit auch viele Kliniken umfasst (dazu finden Sie einen ausführlichen Artikel im Informationsdienst 4/2022). Auch diese sind in Zukunft verpflichtet, unter anderem über Themen wie die Nachhaltigkeit der Geschäftsstrategie, verbindliche Nachhaltigkeitsziele, die Ressourcennutzung, die Geschäftsethik sowie die Diversitätspolitik im Unternehmen zu berichten. Ein Ignorieren dieser Berichtspflicht wird empfindliche Bußgelder – deren genaue Höhe derzeit jedoch noch nicht bekannt ist – nach sich ziehen und dürfte sich zudem auf die Kreditwürdigkeit und die Qualifikation für öffentliche Zuschüsse auswirken.

Zwar gilt diese Reporting-Pflicht erst ab dem Geschäftsjahr 2025, jedoch müssen bereits jetzt Strukturen geschaffen werden, um die Ziele bis 2025 messbar zu machen und die geforderten Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Gern beraten wir Sie zu dieser Thematik. 


Meike Borgelt
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