Verfassungsgericht stärkt Patientenrechte

In einem Beschluss aus dem Januar hat sich das Bundesverfassungsgericht zu Fixierungsmaßnahmen in Krankenhäusern geäußert1. Eine Patientin hatte das Verfassungsgericht angerufen, weil sie ihre verfassungsrechtlich garantierten Rechte verletzt sah. Konkret wehrte sie sich dagegen, dass strafrechtliche Ermittlungen unter anderem gegen das Krankenhauspersonal, das sie fixiert hatte, eingestellt worden waren. Dr. Markus Krüger, Jurist in unserer Unternehmensgruppe, ordnet das Urteil ein. Es hat zur Konsequenz, dass eine Fixierung nur Ultima Ratio sein kann.

Der Fall

Die Patientin ist von einem Pferd gestürzt und kommt daraufhin zur Behandlung wegen Gedächtnislücken sowie Schmerzen in ein Klinikum. Bei den Untersuchungen wird die Computertomografie (CT) eingesetzt, um Verletzungen im Gehirn zu entdecken. Ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Prellungen werden diagnostiziert.

Im weiteren Verlauf des Klinikaufenthaltes ergibt dann eine erneute CT nach den späteren Angaben der Patientin, dass sich die Einblutungen – soweit sie bei der ersten CT vorhanden gewesen waren – vollständig zurückgebildet hätten. Die Patientin verlangt am auf die Untersuchung folgenden Tag, entlassen zu werden. Das wird ihr verwehrt, daraufhin verlässt sie die Klinik eigenständig. Vom Stationspersonal herbeigerufene Polizeibeamte überreden sie allerdings noch vor dem Klinikgebäude, zur Klärung der Angelegenheit auf die Station zurückzukehren. Dort sind an ihrem Bett zwischenzeitlich Fixiergurte angebracht worden. Die Patientin lehnt eine Fesselung zwar energisch ab, sie wird aber letztendlich von einem Arzt, einem Pfleger und den Polizeibeamten gemeinsam unter Anwendung körperlicher Gewalt auf das Bett gelegt und an den Armen, Beinen sowie im Hüftbereich fixiert.

Der Amtsarzt – ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie – erstellt noch am gleichen Tag ein ärztliches Gutachten, in dem er ein Schädel-Hirn-Trauma und ein Durchgangssyndrom mit Erregungszuständen sowie Schertrauma im Stammganglienbereich diagnostiziert. Da sich die Patientin im Hinblick auf ihre medizinische Situation und die potenzielle Lebensbedrohlichkeit ihrer Verletzungen nicht einsichtig zeigt, ordnet er für die Dauer von einem Tag die vorläufige Unterbringung der Frau auf der Intensivstation der Anästhesiologie des Klinikums an.

Am gleichen Tag verfügt das Amtsgericht per Beschluss die Unterbringung der Frau im geschlossenen Bereich eines Krankenhauses. Die Patientin bedürfe einer lückenlosen Überwachung, andernfalls bestehe Lebensgefahr, so die zuständige Richterin. Sie begründet ihre Entscheidung unter anderem mit einer erheblichen Eigengefährdung gemäß § 7 des entsprechenden Landesgesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Psychisch Kranke (PsychKG). Allerdings holt das Amtsgericht kein medizinisches Gutachten dazu ein.

Gegen den Beschluss legt die Patientin eine Beschwerde ein. Das nun zuständige Landgericht stellt fest, dass sie in ihren Rechten verletzt worden sei, weil im Unterbringungsverfahren kein Gutachten von einem Facharzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung in der Psychiatrie eingeholt worden ist. Unterdessen beschäftigt sich das Verwaltungsgericht mit der Anordnung der vorläufigen Unterbringung auf der Intensivstation und erklärt die Anweisung des Amtsarztes für rechtswidrig. Dieser Weisung habe kein Gutachten zugrunde gelegen, das die Notwendigkeit der Unterbringung in gerichtlich nachvollziehbarer Weise begründet habe.

Mit diesen beiden Urteilen im Rücken stellt die Patientin eine Strafanzeige gegen den Arzt und den Pfleger des Krankenhauses, den Amtsarzt sowie die Richterin des Amtsgerichts. Aber die Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Gegen die Einstellung der Ermittlungen wendet sich die Frau nun mit einer Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft – ohne Erfolg. Parallele Anträge an das Oberlandesgericht, mit denen sie sich rechtliches Gehör verschaffen will, werden als unbegründet verworfen. So nimmt sie letztlich den Weg nach Karlsruhe und legt wegen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens Verfassungsbeschwerde ein.
 

Die Entscheidung

Vom obersten deutschen Gericht wird der Frau Recht gegeben. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil klar, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens die Patientin in ihrem Recht auf effektive Straf­verfolgung dritter Personen verletzt hat.

Zwar ergebe sich ein derartiges Recht nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen. Im Hinblick auf das vorliegende Geschehen sieht das Gericht dies aber als gegeben an. So verpflichte das Grundgesetz den Staat, sich dort schützend vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Bürgerinnen und Bürger selbst nicht dazu in der Lage seien. Die Fixierung der Patientin habe einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung begründet, denn mit einer – nicht nur kurzfristigen – Fixierung werde in das Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) eingegriffen. Eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung stelle in jedem Fall eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Abs. 2 GG dar. Es sei denn, es handele sich nur um eine kurzfristige Maßnahme, die absehbar weniger als eine halbe Stunde andauere.

In einem solchen Fall mit gravierender Freiheitsentziehung könne der Verzicht auf eine effektive Strafverfolgung zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates führen. Dies gelte insbesondere, wenn Straftaten von Amtsträgern bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im Raum stehen, mahnt das Bundesverfassungsgericht.

Die Ermittlungsbehörden wären angesichts eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung verpflichtet gewesen, einem Strafverfolgungsbegehren der Patientin nachzugehen. Der Sachverhalt hätte von den Strafverfolgungsbehörden weiter aufgeklärt werden und die Ermittlerinnen und Ermittler hätten sich insbesondere mit den Folgen des Vorfalls für die Patientin auseinandersetzen müssen, statt das Verfahren einzustellen. In diesem Zusammenhang hätten Ermittlungen gegen den Stationsarzt und den Pfleger insbesondere zu den Folgen der Freiheitsentziehung erfolgen müssen, führt das Bundesverfassungsgericht weiter aus.
 

Aus dem Verfahren resultierende Hinweise

Ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung besteht nach früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter – insbesondere Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person – abzuwehren, und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates erschüttern sowie zu einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann2.

Auf den ersten Blick mag sich die Entscheidung lediglich an die betroffenen Strafverfolgungsorgane richten: Geht ein Patient rechtlich gegen eine Zwangsfixierung vor, muss die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt und die Folgen der Fixierung genau aufklären. Als relevantes Ergebnis ist aber auch festzuhalten, dass Ärzte und Pflegekräfte, die Patienten rechtswidrig fixieren, mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen müssen. Das bezieht sich nicht nur auf ein Geschehen in der Psychiatrie, sondern – wie hier – auch in Allgemeinkrankenhäusern. Kommt es zu einer rechtswidrigen Fixierung, setzt sich das klinische Personal dabei nicht nur ganz allgemein der Gefahr einer Strafverfolgung aus, vielmehr kann nach der aktuellen Entscheidung dem Patienten sogar ein Recht auf effektive Strafverfolgung dritter Personen zustehen.

Die Thematik zur Fixierung beschäftigt das Bundesverfassungsgericht regelmäßig. Erst im Sommer 2018 hatte das Gericht entschieden, dass die 5-Punkt- sowie 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzer Dauer eine Freiheitsentziehung darstelle, die nur aufgrund einer richterlichen Anordnung zulässig sei3. Im Anschluss wurde das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen“ erlassen4, und auf Länderebene wurden die verschiedenen PsychKG angepasst. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fixierungen intensiv in persönliche Freiheitsrechte eingreifen und die Gefahr für therapeutisches und klinisches Personal groß ist, mit einer zivil- und/oder strafrechtlichen Haftung konfrontiert zu werden. Auch rechtmäßige Fixierungen können daher nur Ultima Ratio sein.

Dr. Markus Krüger
markus.krueger@ecclesia.de
 


1 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschl. v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16.
2 vgl. u. a. BVerfG, Urt. v. 25.2.1975 – 1 BvF 1/74.
3 BVerfG, Urt. v. 04.07.2018 – 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16.
4 Bundesgesetzblatt (BGBl.) 2019 I, 840 ff.