Selbst Schuld!

Für Patienten besteht die allgemeine Pflicht, sich gegenüber der Klinik- oder Praxiseinrichtung, anderen Patienten und dem Personal in der gebotenen Weise sorgfältig zu verhalten. Eine Verletzung dieser Pflicht kann zur Haftung des Patienten im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung führen. 

Die Haftung eines Patienten kann bei der Abwägung nach § 254 BGB jedoch vollständig zurücktreten, wenn auf Seiten des Arztes ein besonders gravierendes schadensursächliches Mitverschulden vorliegt. Der auf Arzthaftung spezialisierte Volljurist Matthias Gedeon erklärt den Fall und das Urteil des OLG Nürnberg vom 15.02.2023 (4 U 20/22).

Der Fall

In einer radiologischen Praxis wurde am 17.06.2020 bei der 1942 geborenen Patientin eine Untersuchung mittels MRT durchgeführt. Die Patientin trug eine Orthese am linken Bein. Diese legte sie jedoch vor der Untersuchung nicht ab. Auch die beiden Mitarbeiterinnen der radiologischen Praxis, die die Untersuchung vorbereiteten, forderten die Patientin nicht auf, die Orthese abzulegen. Die Untersuchung begann mit der angelegten Orthese. Diese wurde vom Magneten des MRT angezogen, sodass eine Notfallabschaltung (sogenannte Quench) erfolgen musste. Daraufhin musste das MRT instandgesetzt werden. Dabei wurde der Magnet des MRT mit flüssigem Helium neu befüllt. 

Verfahrensgang

Der Inhaber der radiologischen Praxis nahm daraufhin die Patientin auf Schadensersatz in Anspruch. Er verklagte die Patientin für das neue Befüllen des Magneten auf Ersatz von 47.457,33 Euro zuzüglich 9.016,90 Euro Mehrwertsteuer sowie auf entgangenen Umsatz in Höhe von 6.625,23 Euro.

In der ersten Instanz hat das Landgericht Nürnberg-Fürth (Urteil vom 02.12.2021, 14 O 8613/20) einen entgangenen Umsatz verneint, aber für das neue Befüllen des Magneten den Betrag von 47.457,33 Euro zuzüglich der 9.016,90 Euro Mehrwertsteuer zugesprochen. Allerdings hat es ein Mitverschulden des Radiologen gemäß § 254 BGB angenommen und den Betrag daher um 50 Prozent gekürzt. 

Gegen diese Entscheidung legten sowohl der Radiologe als auch die Patientin Berufung beim OLG Nürnberg ein.

Die Entscheidung

Das OLG Nürnberg hat die Berufung des Radiologen zurückgewiesen. Die Berufung der Patientin führte jedoch zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Abweisung der Klage des Radiologen.

Zur Begründung führt das OLG aus, dass zwar auf Seiten der Patientin eine für den Schadeneintritt ursächliche fahrlässige Pflichtverletzung gegeben sei, da sie trotz entsprechender Fragen und Warnhinweise nicht auf die Orthese hingewiesen habe. Für Patienten bestehe nämlich naturgemäß die allgemeine Pflicht, sich gegenüber der Klinik- oder Praxiseinrichtung, anderen Patienten oder dem Personal in gebotener Weise sorgfältig zu verhalten. Gegen diese Pflicht habe die Patientin verstoßen, indem sie trotz Warnhinweisen und entsprechender Fragen nicht auf die von ihr getragene Orthese als metallischen Gegenstand hingewiesen habe, obwohl für sie erkennbar gewesen sei, dass diese während der Untersuchung nicht getragen werden dürfe.

Gleichwohl hat das OLG einen Anspruch des Radiologen auf Schadensersatz verneint, da auf seiner Seite ein derart gravierendes schadensursächliches Mitverschulden gemäß § 254 BGB gegeben sei, dass demgegenüber eine Haftung der Patienten vollständig zurücktrete. Konkret ging das OLG dabei von einem Mitverschulden der Mitarbeiterinnen des Radiologen aus, welches ihm nach § 278 BGB zugerechnet werden konnte.

I. Gravierendes Mitverschulden des Radiologen
Die folgenden Punkte veranlassten das OLG dabei zur Annahme eines gravierenden Mitverschuldens. Es stelle ein besonders schwerwiegendes Mitverschulden dar, dass die Mitarbeiterinnen von der Orthese keine Kenntnis genommen und auf deren Entfernung nicht hingewirkt hätten, obwohl diese deutlich und ohne Weiteres zu sehen gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung nahm das OLG die Orthese der Patientin in Augenschein und stellte fest, dass sich diese nicht nur unter der Hose deutlich als Fremdkörper abgezeichnet habe, sondern dass auch deren Metallteile im Knöchelbereich in Form eines schwarzen Teils sowie eines silberfarbenen Metallstücks ohne weiteres sichtbar und als solche erkennbar gewesen seien.

Das Verhalten der Mitarbeiterinnen erweise sich auch deshalb als besonders leichtfertig, weil das Gangbild der Patientin insoweit auffällig sei. Die Patientin habe das linke Bein nicht normal bewegen können und die Orthese habe sich deutlich unter der Hose abgezeichnet. Dies sei auch ohne besondere Aufmerksamkeit feststellbar. Diese Erkenntnis lasse den Schluss auf eine fehlende Aufmerksamkeit und eine ganz besondere, schlechthin unverständliche Sorglosigkeit zu.

Als besonders schwerwiegend erweise sich das Verschulden der Mitarbeiterinnen auch deshalb, weil sie die ohne jeden Zweifel schon optisch ohne weiteres erkennbare Orthese selbst dann nicht bemerkt hätten, als sie das Bein der Patientin (nebst der hieran befindlichen Orthese) auf die Untersuchungsliege gelegt hätten.

Ein besonders leichtfertiges Verhalten sei zudem dadurch ersichtlich, dass die Mitarbeiterinnen auch den über die gesamte Seite der Hose verlaufenen Reißverschluss nicht bemerkt hätten.

Des Weiteren habe eine Mitarbeiterin angegeben, dass sie davon ausgegangen sei, die Prothese sei aus Carbon. Dies belege nach der Auffassung des OLG die Nichtbeachtung der angesichts der drohenden Schäden erforderlichen Sorgfalt in ganz besonders gravierender Weise. 

Zu guter Letzt komme ein weiteres erhebliches Mitverschulden dadurch zu Stande, dass die Patientin vor der Untersuchung nicht auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens hingewiesen worden sei. Für den Laien sei nämlich nicht vorhersehbar, dass metallische Gegenstände im MRT nicht nur das Untersuchungsergebnis beeinflussen könnten, sondern vom Gerät angezogen und zu einer Notabschaltung führen können, die dann mit Kosten im fünfstelligen Bereich verbunden sei. 

II. Leichte Fahrlässigkeit der Patientin 
Demgegenüber nahm das OLG auf der Seite der Patientin nur eine leichte Fahrlässigkeit an. Es sei dabei insbesondere zu beachten, dass die Patientin den Anamnesebogen zutreffend ausgefüllt habe. So sei eine Orthese im Anamnesebogen nicht ausdrücklich genannt. In der Rubrik „Vor der Untersuchung“ finde sich die Aufforderung „bitte folgende metallische Gegenstände abzulegen: Schmuck, Uhr, Brille, Zahnspangen, Hörgeräte, Schlüssel, Münzen, Haarspangen etc., sowie Karten mit Magnetstreifen, da sie sonst gelöscht werden könnten.“ Dort könne die Orthese allenfalls unter „etc.“ gefasst werden, obwohl sich zu Untersuchungen im MRT nach dem Bekunden des Radiologen regelmäßig Patienten mit Gehbehinderung einfinden würden, sodass eine ausdrückliche Erwähnung zu erwarten wäre.

Die Patientin hätte die Orthese auch nicht auf die Frage „Befinden sich in Ihrem Körper andere Teile aus Metall (zum Beispiel Spirale, Prothesen, Granatsplitter, Gefäßclips, Metallstaub, Zahnprothesen)“ angeben müssen. Bei der Orthese handele es sich nämlich um einen Gegenstand, der nicht im, sondern am Körper getragen werde. Auch unter den im Folgenden mit der Möglichkeit zum Ankreuzen versehenen, ausdrücklich genannten Metallteilen finde sich die am Körper getragene Orthese nicht.

Der Patientin könne daher lediglich vorgeworfen werden, dass sie die Orthese nicht in der Rubrik „Vor der Untersuchung“ als unter „etc.“ fallenden metallischen Gegenstand gefasst habe.

Auch dass die Patientin die Hinweis- und Verbotsschilder nicht angesehen habe, rechtfertige nicht den Vorwurf grober oder mittlerer Fahrlässigkeit. So sei eine Orthese auf den Hinweisschildern weder ausdrücklich erwähnt noch abgebildet. Vielmehr würden elektromagnetisch beeinflussbare Implantate genannt und Beispiele aufgezählt. Die Orthese falle nur unter die optisch kleiner gehaltenen Hinweise auf „Implantate aus Metall und sonstige Metallgegenstände am Körper – zum Beispiel Splitter“ und „Metallteile und medizinische Instrumente aller Art“. Damit wäre nicht nur ein Betrachten der Warnschilder, sondern eine genaue Lektüre der Hinweisschilder erforderlich gewesen, um die Orthese als verbotenen Gegenstand erkennen zu können, zumal auch die bildlichen Darstellungen Gehhilfen nicht zeigen würden.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Nürnberg zeigt, dass ein Schaden, der durch ein Fehlverhalten einer Patientin oder eines Patienten verursacht wurde, nicht zum Schadenersatz führen kann, sofern auf Seiten des medizinischen Personals erhebliche Versäumnisse bestehen, die ebenfalls zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Das ist jedoch stets eine Einzelfallentscheidung des erkennenden Gerichts.

Aus der Entscheidung lassen sich aber für den Bereich der Radiologie die folgenden Empfehlungen für die Praxis ableiten.

Die MRT-Untersuchungen sollten stets durch besonders geschultes, aufmerksames und vertrauensvolles Personal durchgeführt werden, das mögliche metallische Gegenstände bei Patientinnen oder Patienten vor der Untersuchung bemerkt, um Schäden am Gerät zu verhindern.

Sollte es dennoch zu Schäden durch metallische Gegenstände kommen, ist für die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches eine dokumentierte umfangreiche Aufklärung und Anamneseerhebung sehr hilfreich. In dieser sollte die Patientin oder der Patient darauf hingewiesen werden, dass metallische Gegenstände im MRT angezogen werden und zu ganz erheblichen Schäden führen können. Vor allem sollten im Anamnesebogen möglichst viele Beispiele von metallischen Gegenständen aufgeführt werden, die sowohl im als auch am Körper getragen werden können. Das gilt insbesondere für Orthesen.

Durch eine solche Aufklärung und Anamneseerhebung kann aus einer leichten Fahrlässigkeit eine mittlere oder grobe Fahrlässigkeit werden.

 

Matthias Gedeon
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