Curacon, Ev. Johanneswerk und Ecclesia Gruppe schaffen neuen Zukunftskongress als familiäres Treffen für Entscheiderinnen und Entscheider

Wie lässt sich der Systemkollaps in der Sozialwirtschaft vermeiden?

Diese Frage haben jetzt rund 180 Managerinnen und Manager von Pflegedienstleistern, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Betreuungseinrichtungen und anderen Unternehmen der Sozialwirtschaft auf der Zeche Zollverein in Essen erörtert. Sie nahmen am ersten Zukunftskongress Sozialwirtschaft managen teil, den die Curacon Wirtschaftsprüfung und -beratung, das Ev. Johanneswerk und unsere Unternehmensgruppe gemeinsam ausgerichtet hatten. Für die Sozialwirtschaft stellen sich existenzielle Fragen, der Kongress zeigte aber auch die Entschlossenheit der Branche, die Zukunftsthemen anzufassen.

B ereits der Auftakt des Kongresses ließ keinen Zweifel daran, dass sich Zukunft nicht mit einem „Weiter so“ gestalten lässt und es möglicherweise sogar eines bewussten Schrittes zurück bedarf, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. So forderte Transformationsforscherin und Bestsellerautorin Prof. Dr. Maja Göpel einen Perspektivwechsel und stellte in Frage, mit welchen Maßstäben wir Erfolg bewerten wollen und ob nicht gerade die Sozialwirtschaft aktiv zu einer Neudefinition von Wertschöpfung und Wertschätzung beitragen könne.

Auf die konkreten Herausforderungen der Sozialwirtschaft angesprochen kam Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, auch auf die aktuelle Pflegereform zu sprechen. „So wird das garantiert nichts!“, lautete sein klares Fazit.

Dr. Stefan Seuffert, Dozent am Forschungszentrum Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, nahm explizit das Kernthema Generationengerechtigkeit in den Fokus und machte in seinem Vortrag sehr deutlich, dass wir in den letzten Jahren „wissentlich über unsere Verhältnisse“ gelebt haben. Gerade aus der Kombination dieser drei Vorträge entspann sich anschließend eine intensive Podiumsdiskussion. 

Die drei Veranstalter Evangelisches Johanneswerk, Curacon und Ecclesia setzen das Fokusthema Generationengerechtigkeit am Haupttag mit Panels zu den zentralen Themen Personal, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Pflege um. 13 Referentinnen und Referenten boten zahlreiche Impulse, Best-Practice-Beispiele und neue Perspektiven auf die Fragen der Zeit: Wie ist der Fachkräftemangel zu kompensieren? Wie lassen sich Nachhaltigkeit und Ökonomie verbinden? Welche Perspektiven schafft Digitalisierung – auch und gerade in der Pflege? Und letztlich: Wie lässt sich der Systemkollaps vermeiden? Auf Zollverein wurde intensiv über diese Fragen debattiert. Die ehemals größte Steinkohlenzeche der Welt bot dafür einen sehr guten Rahmen. Harte Arbeit ist auf Zollverein zuhause – und harte Arbeit liegt auch vor der Sozialwirtschaft. Das wurde in allen Diskussionsrunden erkennbar. Nichtsdestoweniger bot der Kongress natürlich viele Möglichkeiten, im abendlichen Austausch oder in den Pausen im Gespräch Kontakte zu knüpfen und die aufgeworfenen Fragen weiter zu behandeln.

„Der Zuspruch zum ersten Kongress dieser Art hat uns gezeigt, dass wir die richtigen Themen gesetzt haben“, resümierte Tobias Allkemper, Sprecher der Curacon-Geschäftsführung. „Die Vorträge und Diskussionen haben aus meiner Perspektive ergeben: Alle Unternehmen bewegen die gleichen Probleme, aber es gibt zahlreiche gute Ansätze zur Lösung der drängenden Fragen.“ Gleichzeitig wurde vielfach deutlich, dass die föderale Struktur in Deutschland nicht an jeder Stelle vorteilhaft ist. So gewähren einige Bundesländer der Sozialwirtschaft mehr Refinanzierungsmöglichkeiten als andere.

Auch Dr. Bodo de Vries, stellv. Vorsitzender des Vorstands und der Geschäftsführung des Ev. Johanneswerks, betonte: „Unser Ziel als Sozialwirtschaft muss es sein, eigene innovative Lösungen für die aktuelle Krise zu entwickeln, die uns in die Zukunft führen. Dazu brauchen wir aber auch den politischen Willen, das Stückwerk in der Pflegepolitik zu beenden und die Probleme endlich auf breiter Ebene anzugehen.“ Bisher sei nicht erkennbar, dass sich die politische Debatte bereits mit der Vorbereitung auf den demografischen und gesellschaftlichen Wandel sowie die damit verbundenen Herausforderungen einstelle. Dies müsse aber dringend und umfassend geschehen. 

„Auch 2024 wird der Zukunftskongress Sozialwirtschaft managen wieder einen Raum bieten, um diese Themen voranzutreiben, denn es wird auf jeden Fall eine Neuauflage des auf Anhieb erfolgreichen, ausverkauften Formates geben“, kündigte Gunnar Pepping, Mitglied der Geschäftsleitung unserer Unternehmensgruppe, an. Der Kongress habe sich als familiäres Forum für die Entscheider der Sozialwirtschaft etabliert. Im nächsten Jahr wird es am 5. und 6. Juni eine Neuauflage geben.

Kaum waren die Lichter des Kongresses Sozialwirtschaft managen erloschen, da zeigte sich schon in den allgemeinen Nachrichten einmal mehr die Aktualität: Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil flogen nach Brasilien, um dort Pflegekräfte für Deutschland zu werben. Das Ev. Johanneswerk hat gemeinsam mit einem Partner in Ankara ein integratives Ausbildungsprojekt gestartet, in dem junge Türkinnen und Türken für eine Ausbildung in der Pflege nach Ostwestfalen-Lippe geholt werden sollen. Dr. Frauke Schönberg vom Alters-Institut, einer Tochtergesellschaft des Johanneswerks, und Dr. Henning Cramer vom Ev. Johanneswerk berichteten über die gemeinsamen Anstrengungen auf dem Weg zum „Integrations-Profi“. Ihr Blick richtete sich auf die Alltagsintegration. Hier entscheide sich, ob das Projekt Erfolg habe oder nicht. Dabei sei Kommunikation natürlich ein Schlüssel, aber darunter dürfe nicht nur die Sprachbarriere verstanden werden. „Sich verstehen ist mehr als verstanden werden“, sagte die Leiterin des Alters-Instituts. 

Die Anstrengungen eines großen Pflegekonzerns um Mitarbeitende aus dem Inland beziehungsweise um Mitarbeiterbindung präsentierte Benedikt Bauer (Korian Deutschland GmbH). Ein ganzer Strauß an Maßnahmen prägt das Bemühen: Betriebliche Gesundheitsfürsorge, betriebliche Altersvorsorge, eine eigene Fortbildungsakademie, Beteiligungsmodelle gehören dazu. Wichtig sei auch ein gutes Onboarding und ein regelmäßiges „Reboarding“ der Mitarbeitenden. Er warb zudem dafür, die Tarifpflicht als Chance zu sehen. Im Gesamtpaket habe Korian saldiert mehr Eintritte als Austritte. Die Refinanzierung dieser Maßnahmen gestalte sich allerdings nicht einfach, weil das föderale System eine Vielzahl von Einzelverhandlungen erfordere. 

Bei Personal, Digitalisierung und Finanzen kommt der Druck, neue Lösungen zu finden, im gewissen Sinne aus der Sozialwirtschaft selbst. Beim Thema Nachhaltigkeit sind es gesellschaftliche Debatten und globale Notwendigkeiten, die Veränderungsdruck aufbauen. Die Sozialwirtschaft habe hier weiterhin Handlungs-bedarf, formulierte Prof. Dr. Michael Batz von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Schließlich nehme sie unmittelbar Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck von einem Prozent der 
Bevölkerung. Nachhaltigkeit werde in der Sozialwirtschaft bisher eher punktuell gedacht, aber noch nicht umfassend. Nachhaltig angelegte Managementsysteme seien noch nicht sehr weit verbreitet.

Dr. Janina Jänsch, Geschäftsführerin des Verbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, promovierte Ökonomin und Politikerin in der Millionenstadt Köln stellte fest, dass ohne eine ausreichende Hilfe des Staates die notwendige Einführung nachhaltiger Prozesse in der Sozialwirtschaft nicht zu realisieren sei. Auch aus ökonomischer Perspektive sei das gut zu begründen, sagte sie. Denn in dem weitgehend umlagefinanzierten Wirtschaftszweig seien die marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen nur begrenzt anwendbar.

Gleichwohl lässt das System Spielraum, den Rainer Freyer, Geschäftsführer der Esslinger „Dienste für Menschen“ aufzeigte. Das Unternehmen arbeitet seit Jahren nach einem nachhaltigen Managementsystem und fährt damit große Erfolge ein: Die Eigenkapitalquote hat sich erhöht, die Mitarbeitenden goutieren die Unternehmenspolitik, desgleichen auch die Kunden, der ökologische Fußabdruck hat sich ebenfalls verbessert. „Machen Sie sich auf den Weg“, ermunterte er seine Zuhörerinnen und Zuhörer. Gleichwohl zeige sich, dass die Refinanzierung der Unternehmensleistungen durch die staatlichen und halbstaatlichen Stellen noch nicht auf die neuen Anforderungen der EU-Taxonomie ausgelegt sei. „Das wird eine große Herausforderung“, war sich Rainer Freyer sicher. „Das Beispiel der ,Dienste für Menschen‘ darf an dieser Stelle Mut machen“, motivierte Moderator Gunnar Pepping die Zuhörerinnen und Zuhörer.

Digitalisierung bedeutet mehr als Umformung von Prozessen in eine elektronische Welt. Digitalisierung greift umfangreich in das Arbeitsleben ein – auch in der Sozialwirtschaft. Deshalb riet Alexander Funk, Geschäftsführer der Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken (cts) dazu, gemeinsam mit den Mitarbeitenden sowie Fachberaterinnen und Fachberatern einen eigenen Weg zu finden, wie Digitalisierung gelingen kann. Das erfordere viele Gespräche und einen sehr transparenten Umgang mit dem Thema sowie eine klare Strategie, was mit der Digitalisierung erreicht werden soll. Obwohl die cts mit ihren Digitalisierungsbemühungen nach Alexander Funks Aussage noch am Anfang steht, berichtete er bereits von relevanten Erfolgen.

Drei Start-up-Unternehmen, die sich in der Szene bewegen, stellten im Anschluss digitale Helfer vor. Ihre Produkte sind beispielsweise eine Plattform, über die Pflege nach einem Krankenhausaufenthalt organisiert werden kann, oder Dokumentations- und Planungssoftware für Träger der Jugend-, Eingliederungs- und Integrationshilfe. Ein anderes Unternehmen präsentierte Sensoren gestützte Software, die dabei helfen soll, Pflegebedürftigen schneller zur Hilfe kommen zu können – am besten noch, bevor ein Mensch stürzt oder desorientiert sein Zimmer verlässt.

Generationengerechtigkeit war die Klammer, die die einzelnen Panels miteinander verband. Explizit im Titel kam das Wort bei der vierten und letzten Präsentations- und Diskussionsrunde vor, die sich damit befasste, wie der drohende Systemkollaps zu vermeiden und die pflegerische Versorgung in Deutschland insgesamt zu reformieren sei. Das wenige Tage vor dem Kongress verabschiedete Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz kam in diesem Zusammenhang bei den Praktikern nicht gut weg. Schon Dr. Ulrich Schneider (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband) hatte in der Auftaktveranstaltung zum Kongress maximale Zweifel am Erfolg des Reformgesetzes geäußert. Sein Namensvetter Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelische Heimstiftung GmbH, griff das auf und forderte einen Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung, sonst schwinde das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Daseinsvorsorge.

Gerichtet waren diese Worte nicht zuletzt an Dr. Martin Schölkopf, Ministerialdirektor im Bundesgesundheitsministerium und Leiter der Abteilung für die Pflegeversicherung. Er wies darauf hin, dass in der Pflegeversicherung in den vergangenen Jahren bereits viele Änderungen vorgenommen worden seien. So habe sich die Zahl der Leistungsempfänger verdoppelt, weil mehr Menschen anspruchsberechtigt seien als früher. Ferner wies er daraufhin, dass auch die an den Tarif gebundene Bezahlung nun gesetzlich vorgesehen und der Eigenanteil an den Pflegekosten gesenkt worden sei. Gleichwohl verkannte Dr. Schölkopf nicht, dass noch einiges zu tun sei, der Koalitionsvertrag sehe aber auch weitere Veränderungen vor. Größtes Problem – da waren sich alle Vortragenden einig – ist derzeit der Mangel an Fachkräften, der sogar zu Betriebsaufgaben führe. Deshalb verlangen nicht zuletzt auch die Kommunen, die Pflegereform neu zu denken und umzusetzen. Dr. Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag mahnte, es gebe bereits Pflegenotstände in Deutschland. „Mehr vom Gleichen ist dafür sicher nicht die Lösung“, schlussfolgerte Dr. Bodo de Vries als Moderator des Panels.