Der Sachverhalt
Ein Verein betreibt eine anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen und bietet damit solchen Personen Arbeitsplätze, die wegen ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt. Durch den Betrieb der Werkstatt unterstützt er Personen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Hilfe bedürfen. Er verfolgt damit einen mildtätigen Zweck im Sinne von § 53 Abgabenordnung (AO).
Darüber hinaus betreibt der Verein ein Bistro und eine öffentliche Toilette, die nicht Betriebsteile der Werkstatt für Menschen mit Behinderung sind, die aber einen nach Abgabenrecht anerkannten Zweckbetrieb darstellen. In dem Bistro und zum Betrieb der Toilette sind 60 Prozent behinderte und 40 Prozent Menschen ohne Behinderung tätig. Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden. Der Stundenlohn für die Beschäftigten mit Behinderung liegt etwas unterhalb des Stundenlohns für die Beschäftigten ohne Behinderung – insgesamt liegt die Entlohnung im unteren Bereich der tariflichen Beträge, die für das Hotel- und Gaststättengewerbe gelten, und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Der Verein unterwirft die Umsätze aus dem Bistro und der Toilette dem ermäßigten Steuersatz.
Das Finanzamt kommt nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass nicht der ermäßigte, sondern der allgemeine Steuersatz anzuwenden ist. Daraufhin klagt der Verein. Der Bundesfinanzhof (BFH) gibt dem Finanzamt Recht.1
Die gesetzliche Regelung
Regel: Für jeden steuerpflichtigen Umsatz beträgt die Steuer 19 Prozent; so regelt es § 12 Absatz 2 Ziffer 8a Umsatzsteuergesetz (UStG).
Ausnahme: Für Leistungen von Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgen, ermäßigt sich die Steuer auf 7 Prozent.
Aber: Für Leistungen, die ein Zweckbetrieb ausführt, gilt die Ausnahme nur unter zwei Voraussetzungen:
- wenn der Zweckbetrieb nicht in direktem Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegen, oder
- wenn zwar ein Wettbewerb besteht, die Körperschaft mit dem Zweckbetrieb aber ihren steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck selbst verwirklicht.
Die Vorüberlegungen des BFH: Ist § 12 UStG mit dem EU-Recht vereinbar?
Bei der Auslegung der Norm ist zwingend das EU-Recht zu beachten. Das ist in diesem Fall die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie. Danach dürfen die Mitgliedsstaaten nicht für alle gemeinnützigen Leistungen einen ermäßigten Steuersatz anwenden, sondern nur für diejenigen, die von Einrichtungen erbracht werden, die sowohl gemeinnützig sind als auch für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind.
Die im deutschen Umsatzsteuergesetz in § 12 normierte Ausnahme verstößt somit gegen das EU-Recht, da sie die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf alle gemeinnützigen Leistungen zulässt, ohne dies weiter einzuschränken. Dies hat zur Folge, dass die Voraussetzungen, die einem Zweckbetrieb die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes einräumen, sehr eng auszulegen sind.
Im konkreten Fall: Steht der Zweckbetrieb mit anderen Unternehmen im Wettbewerb?
Der BFH bejaht diese Frage. Der Kläger, in diesem Fall der gemeinnützige Verein, tritt mit seinen Umsätzen von Bistro und öffentlicher Toilette in Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die identische oder nahezu identische Leistungen anbieten. Die Wettbewerbstätigkeit ist dabei derart umfangreich, dass man sie nicht mehr als „zur Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks unvermeidbar“ bezeichnen kann.
Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob der Kläger aus den Einnahmen Gewinne erzielt oder ob die Einnahmen bei ihm verbleiben.
Verwirklicht der Kläger mit dem im Wettbewerb stehenden Zweckbetrieb seinen steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck?
Der BFH verneint diese Frage. Der Betrieb des Bistros und der öffentlichen Toilette mögen zwar die Verwirklichung der Zwecke unterstützt haben, sie werden hierdurch aber nicht verwirklicht. Die einzelnen Gastronomieleistungen und die Zurverfügungstellung der Toilette dienen in erster Linie den Zwecken der Besucher. Diese werden vom gemeinnützigen Zweck der Einrichtung des Klägers aber gerade nicht erfasst.
Begünstigt wären nur Leistungen gegenüber den behinderten Personen, nicht aber solche Leistungen, an deren Erbringung behinderte Beschäftigte teilhaben.
Muss der soziale Kontext der Leistungserbringung berücksichtigt werden? Wenn ja, ist dies geschehen?
Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie verfolgt einen Lenkungszweck. Verschiedentlich wird vertreten, dass zur Zweckerfüllung auch der soziale Kontext der Leistungserbringung berücksichtigt werden muss. Dies könnte zur Folge haben, dass der ermäßigte Steuersatz auch dann zur Anwendung käme, wenn die oben genannten Ausnahmeregelungen in Ziffer 8a UStG nicht erfüllt sind.
Der BFH geht hierauf nicht weiter ein, stellt aber klar, dass Ermäßigungsvorschriften generell nur dann anzuwenden sind, soweit von ihnen keine oder nur eine geringe Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ausgeht. Insoweit tritt ein möglicherweise entgegenstehender Lenkungszweck hinter die Wettbewerbsneutralität zurück.
Am Rande
Möglicherweise ist der Kläger trotz der Entscheidung vom 23. Juli 2019 berechtigt, den ermäßigten Steuersatz anzuwenden, denn eventuell besteht ein anderer Grund für die Ermäßigung, zum Beispiel die Abgabe von Speisen zur Mitnahme.
Fazit: Überprüfen Sie!
Die Anwendbarkeit der steuerbegünstigen Tatbestände in § 12 Absatz 2 Ziffer 8a UStG wurde durch das Urteil des BFH eingeschränkt. Jeder gemeinnützigen Körperschaft kann daher nur geraten werden: Prüfen Sie, ob Sie auch weiterhin eine Steuerbegünstigung nach dieser Regelung beanspruchen können.
Christina Helms
christina.helms@ecclesia-gruppe.de
1 BFH-Urteil vom 23.07.2019 – XI R 2/17.
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