Langsam geriet die Corona-Pandemie aus dem Blickfeld der allgemeinen Öffentlichkeit. Aber die juristische Aufarbeitung des Themas ist noch nicht beendet. Insbesondere wird juristisch immer noch darüber gestritten, in welchen Fällen Versicherungsschutz aus einer Betriebsschließungsversicherung greift.

U mstritten sind dabei immer wieder zwei Punkte.

Erstens: Muss ein meldepflichtiges Ereignis direkt im Betrieb geschehen sein, worauf die Behörden mit individuellen Anordnungen reagiert haben, oder reicht auch eine allgemeine Anordnung der Behörden ohne konkretes Ereignis im Betrieb aus, um den Versicherungsschutz auszulösen?

Zweitens: Bei welchen Versicherungsbedingungen kann der Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass auch die neue Krankheit COVID-19 mitversichert war? Denn sie konnte ja nicht in den Versicherungsbedingungen aufgezählt sein. Anfang des Jahres 2023 hat der Bundesgerichtshof (BGH) als höchste Instanz zu dem Komplex erneut ein Urteil gesprochen, in dem der BGH frühere Rechtsprechung bestätigt.

Jurist Ruben Leßmeier beschäftigt sich im Unternehmensbereich Schaden unserer Unternehmensgruppe schwerpunktmäßig mit der Betriebsschließungsversicherung und ordnet das neue Urteil ein.  
 

Das erste Urteil der BGH

Vor dem Einstieg in das neue Urteil ist aber eine kleine Rückblende notwendig: Im Informationsdienst 01/2022 hatten wir bereits über eine erste Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Betriebsschließungsversicherung berichtet (Urteil vom 26. Januar 2022, Aktenzeichen IV ZR 144/21). Es ging um die Betriebsschließungsversicherung einer Gaststätte. Der BGH hat damals im Ergebnis dem beklagten Versicherer Recht gegeben und den Versicherungsschutz für die Schließung des Gastronomiebetriebs infolge der COVID-19-Pandemie verneint. Begründet wurde dies damit, dass eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 vom Versicherungsschutz nicht erfasst war. Denn nach den zwischen dem Gastwirt und dem Versicherer vereinbarten Versicherungsbedingungen, die in gleicher oder ganz ähnlicher Form weitverbreitet waren, lag ein abschließender Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern vor, zu denen COVID-19 und SARS-CoV-2 nicht gehörten. Eine sogenannte Öffnungsklausel, das heißt eine Erweiterung des Kataloges auf sonstige, noch nicht namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger, war in diesem Fall nicht vereinbart.

Positiv an dieser Entscheidung aus dem Jahr 2022 ist aber, dass der BGH der Forderung der Versicherer nach einem Ausbruchsgeschehen in dem versicherten Betrieb, also einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, „intrinsischen“ Gefahr, eine Absage erteilt hat. Für alle Versicherungsnehmer, in deren Versicherungsbedingungen eine Öffnungsklausel vereinbart war, hat der BGH damit 2022 bereits den Weg zu Versicherungsleistungen infolge pandemiebedingter Betriebsschließungen erheblich leichter gemacht. 

Die neue Entscheidung der Bundesrichter

In seiner neuen Entscheidung vom 18. Januar 2023 (Aktenzeichen IV ZR 465/21) hat der BGH seine Einschätzung, dass eine intrinsische Gefahr nicht erforderlich ist, bestätigt. Im Vordergrund dieser Entscheidung zu einer speziellen Bedingungslage stand jedoch erneut die Frage, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt Versicherungsschutz für COVID-19 beziehungsweise den Erreger SARS-CoV-2 bestand.

Diesem Fall lagen Versicherungsbedingungen zugrunde, in denen – anders als bei den meisten früheren Bedingungen – weder ein Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern, noch eine Öffnungsklausel enthalten war. In den dortigen Bedingungen hieß es bezüglich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Wesentlichen:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger …“

Der Hotelbetrieb der Versicherungsnehmerin war sowohl im Frühjahr als auch im Herbst 2020 durch behördliche Anordnungen erheblich beeinträchtigt. Nach den für die Versicherungsnehmerin gültigen Allgemeinverfügungen und Verordnungen durften keine Personen zu touristischen Zwecken beherbergt werden. Diese Regelungen waren auch in den anderen Bundesländern üblich. Für beide Zeiträume hat die Versicherungsnehmerin Ansprüche geltend gemacht.

Der BGH hat die Regelung zu den meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern in diesen Versicherungsbedingungen für unklar gehalten. Es fehlte hier nach Einschätzung des Gerichts an einer klaren Regelung zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Krankheit beziehungsweise ein Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz namentlich genannt sein musste. Sollte es hier auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommen, oder auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, das heißt der behördlichen Anordnung?

Unklare Bedingungen werden zugunsten der Versicherungsnehmerin ausgelegt

Für die Versicherungsnehmerin war eine dynamische Verweisung auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles günstiger, denn auch Erweiterungen im Infektionsschutzgesetz nach dem Vertragsabschluss waren damit vom Versicherungsschutz umfasst. Da die Bedingungen an dieser Stelle unklar waren, hat der BGH diese für die Versicherungsnehmerin günstigere Auslegungsweise zugrunde gelegt.

Für den Schaden im Frühjahr 2020, in der „ersten Welle“, hat dies der Versicherungsnehmerin dennoch nichts genutzt. Denn die Krankheit COVID-19 und der Erreger SARS-CoV-2 wurden erst im Mai 2020 nach einer Gesetzesänderung in den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes namentlich genannt. Der Versicherungsfall war jedoch schon im März 2020 eingetreten. Dass COVID-19 und SARS-CoV-2 schon seit dem 1. Februar 2020 aufgrund einer Rechtsverordnung meldepflichtig waren, reichte dem BGH nicht aus, um den Versicherungsschutz als gegeben anzusehen.

Für den im Herbst 2020 entstandenen Schaden hat der Bundesgerichtshof aber den Versicherungsschutz bestätigt. Dieser Versicherungsfall war nach der namentlichen Nennung von COVID-19 und SARS-CoV-2 im Infektionsschutzgesetz eingetreten.

Wichtig in diesem Zusammenhang: Der BGH-Entscheidung vom 18. Januar 2023 lag eine spezielle Bedingungslage zugrunde. Der Versicherungsschutz für behördliche Anordnungen aufgrund von COVID-19 beziehungsweise SARS-CoV-2 ist für viele andere Bedingungswerke daher anders zu bewerten. 

Wichtiger Grundsatz der BGH-Entscheidung: Auf die Rechtsform der Schließungsanordnung kommt es nicht an

Eines ist an der Entscheidung vom 18. Januar 2023 aber auch für viele andere Versicherungsbedingungen relevant: Der BGH hat noch einmal bestätigt, dass eine intrinsische Gefahr nicht erforderlich war, damit der Versicherungsfall eintreten konnte. Darüber hinaus haben die Bundesrichter zum ersten Mal auch ausdrücklich entschieden, dass es keiner individuellen Schließungsanordnung des vor Ort zuständigen Gesundheitsamtes für den jeweiligen Versicherungsnehmer bedurfte. Auch die in allen Bundesländern damals erlassenen Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen sind nach Ansicht des BGH als behördliche Anordnungen im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen, wenn darin eine Schließung des versicherten Betriebes angeordnet wurde. Auf die Rechtsform der behördlichen Schließungsanordnung kommt es also nicht an.

Apropo Schließung: Der BGH hat das Verbot touristischer Übernachtungen als versicherte Teilschließung angesehen. Teilschließungen waren nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen – anders als in den meisten Standardbedingungen – ausdrücklich mitversichert. Auf die Frage, ob ein solches Übernachtungsverbot für die Versicherungsnehmerin zu einer vollständigen Betriebsschließung geführt hat, kam es für diesen Fall nicht an. 

Was heißt die Entscheidung für unsere Kunden?

In den Bedingungswerken, die wir für unsere Kunden im Gesundheitswesen und der Sozialwirtschaft mit den Versicherern vereinbart haben, sind Teilschließungen ebenfalls ausdrücklich mitversichert. Auch Öffnungsklauseln waren darin vereinbart, sodass die Frage, ob in der Corona-Pandemie Versicherungsschutz für COVID-19 und SARS-CoV-2 bestand, für die meisten unserer Kunden von vorneherein mit „Ja“ zu beantworten ist. Ob allerdings tatsächlich ein Versicherungsfall eingetreten ist, hängt immer auch von der jeweiligen behördlichen Anordnung ab. Hier ist jeder Einzelfall sorgsam zu prüfen.

Achtung: Geänderte Bedingungslage!

Wichtig ist: Alle Versicherer haben ihre Versicherungsbedingungen im Zuge der Corona-Pandemie überarbeitet, manche bieten die Betriebsschließungsversicherung gar nicht mehr an. Ferner sind nunmehr Betriebsschließungen ohne intrinsische Gefahr in den aktuellen Bedingungen ausdrücklich ausgeschlossen oder nur begrenzt versichert. Versicherungsfälle im Zusammenhang mit einer Pandemie oder Epidemie werden gänzlich ausgeschlossen. Die Entscheidungen zu der früheren Bedingungslage sind daher für die aktuellen Versicherungsverträge in aller Regel nicht relevant. 


Wenn Sie Fragen zu einem Versicherungsfall oder zu Ihrem aktuellen Versicherungsvertrag haben, sprechen Sie uns jederzeit gerne an.


Ruben Leßmeier
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