Seit gut 15 Monaten bestimmt die COVID-19-Pandemie den Alltag. Da ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, die nicht nur berücksichtigt, was (noch) nicht funktioniert, sondern auch betrachtet, was diese Zeit nolens volens an positiven Entwicklungen gebracht hat. Wir wollen uns aus unterschiedlichen Blickwinkeln diesem Thema nähern. Am Anfang steht die Bilanz von Dr. Stefan Ziegler, Holdinggeschäftsführer der Unternehmensgruppe. Im Interview spricht er unter anderem über die Kräfte, die die Bewältigung der Pandemiefolgen freigesetzt hat.

Herr Dr. Ziegler, über eine Pandemie lässt sich schwerlich etwas Positives sagen. Dennoch: Was hat Sie in Ihrer Aufgabe in den vergangenen knapp 15 Monaten am meisten beeindruckt?

Dr. Stefan Ziegler: Am meisten beeindruckt haben mich die Leistungswilligkeit und -fähigkeit der Menschen in unserer Unternehmensgruppe. In den einzelnen Unternehmen tragen alle Mitarbeitenden zu einem hervorragenden Arbeitsergebnis bei, was sich einerseits in unserer exzellenten Kundenbindungsrate und andererseits in unserer Marktführerschaft dokumentiert. Besonders aufgefallen ist mir aber vor dem Hintergrund der Pandemie die Leistung unserer Mitarbeitenden in den verschiedenen Schadenabteilungen. Sie haben in den vergangenen Monaten eine enorme Menge höchst komplexer Schäden erfolgreich bearbeitet, die in diesem Ausmaß und in dieser Tiefe in der Geschichte unseres Hauses zweifellos beispiellos sind. Aber trotz der Pandemie-Krise und des Arbeitens auf Distanz aus dem Homeoffice heraus bewältigen sie diese Aufgabe immer noch mit hoher Disziplin und konstant hoher Leistung. Darauf bin ich, darauf sind meine Kollegen in der Geschäftsführung stolz, und dafür sind wir sehr dankbar. 


Welche Entwicklungen, die mit COVID-19 in Verbindung stehen, empfinden Sie als so positiv, dass sie auf jeden Fall beibehalten werden sollten – auch wenn die Pandemie einmal Geschichte ist?

Dr. Stefan Ziegler: Die Agilität und Flexibilität der Mitarbeitenden, die wir – wie sicher viele Unternehmen – in dieser außergewöhnlichen Situation erlebt haben, stehen für mich an erster Stelle. Ein Beispiel: Homeoffice galt vor der COVID-19-Krise oftmals als schwierig umsetzbar, und es existierten entsprechende Ressentiments. Heute ist diese Arbeitsform dagegen mehr als hoffähig geworden. Unstreitig ist, dass die beschleunigte Digitalisierung für diese Entwicklung mitursächlich war. Fest steht in diesem Zusammenhang, dass sich Formate wie Videokonferenzen und Webinare durchaus bewährt haben und bleiben werden. Zu der Wahrheit gehört allerdings auch, dass mit der virtuellen Arbeitsgestaltung häufig eine erhebliche Verdichtung einhergeht, weil Anfahrten und Rüstzeiten wegfallen und sich stattdessen in unserem Alltag eine Videositzung an die andere reiht.


Die Betriebsschließungsversicherung infolge von Seuchengefahr führte bis zum Auftreten des COVID-19-Erregers eher ein Nischendasein. Durch die Pandemie stand sie plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Mehr als 10.000 Schadenfälle aus der Betriebsschließungsversicherung sind uns gemeldet worden. Wie stellt sich die Situation in der Schadenbegleitung heute dar?

Dr. Stefan Ziegler: Zu Beginn dieser Situation haben wir sehr viel Zeit in die grundlegende Betrachtung und Analyse des Themas investiert und lange, intensive Gespräche mit der Assekuranz über die Frage geführt, in welchem Umfang Betriebsschließungsschäden gedeckt sind. Heute können wir sagen, dass diese Strategie richtig war. Auf diese Weise haben wir in vielen Fällen vertretbare Lösungen für unsere Kunden schaffen können. Angesichts von mehr als 10.000 Schadenfällen sind wir zwar noch nicht über den Berg, zumal sich auch im Laufe der Monate neue Fragen ergeben haben, zum Beispiel, wie es sich mit einem Betriebsschließungsschaden verhält, der in der zweiten oder dritten COVID-19-Welle erneut aufgetreten ist. Wir sind aber zuversichtlich, auch diese Fragen im Sinne unserer Kunden zu lösen. Gleichzeitig müssen wir erleben, dass einzelne Kunden einen Prozess um die Deckung führen müssen, weil sich der jeweilige Risikoträger sehr hartleibig zeigt. Das ist auch für uns grundsätzlich neu. Aber selbstverständlich stehen wir unseren Kunden auch an dieser Stelle als Interessenvertreter in Versicherungsangelegenheiten zur Seite.


Wie hat die Unternehmensgruppe auf diesen bisher nie dagewesenen Anfall in der Menge sowie in der Schwere der Schäden reagiert?

Dr. Stefan Ziegler: Wir haben aus den unterschiedlichen Bereichen der Unternehmensgruppe – so aus dem Unternehmensbereich Schaden, dem Unternehmensbereich Recht, dem Produktmanagement und den Vertrags­abteilungen – Mitarbeitende in einer Task Force zusammengeführt, um das Know-how zu bündeln. Das war wichtig und richtig. In der Schadenbearbeitung selbst sind erhebliche Überstundenkontingente angefallen, auch Wochenendarbeit war dort notwendig; beides wurde von den Mitarbeitenden mitgetragen. Auch deshalb bin ich von den Leistungen der Mitarbeitenden so beeindruckt.


Hunderte von Prozessen werden um die Betriebsschließungsversicherung mittlerweile in Deutschland geführt, überwiegend von Gastronomen, die von Schließungen betroffen waren. Was hat diese Prozesslawine ausgelöst?

Dr. Stefan Ziegler: Die Versicherer haben überwiegend mit Ablehnung einer Deckung auf die Schließungen in der COVID-19-Pandemie reagiert, die Kunden waren hingegen überwiegend der Meinung, dass diese Schäden gedeckt sein müssten. In den Prozessen, zu denen es bisher nur wenig obergerichtliche Urteile gibt, geht es letztlich darum, wie die einzelnen Bedingungswerke ausgestaltet worden waren. Ein Streitpunkt ist zum Beispiel, ob die Versicherungsleistung nur die in den Bedingungen aufgeführten oder auch neue Erreger einschließt, die – wie anfangs auch COVID-19 – noch nicht im Infektionsschutzgesetz aufgeführt waren. Außerdem streiten die Parteien oftmals um die Fragen, ob eine präventive Schließung der Betriebe per Allgemeinverfügung auch gedeckt ist bzw. der Erreger in der versicherten Einrichtung ausgebrochen sein muss. Wir vertreten die Auffassung, dass eine Allgemeinverfügung ausreichend ist, um den Versicherungsfall auszulösen. Erste Gerichtsurteile bestätigen dies. Der Streit um die versicherten Erreger tangiert unsere Kunden hingegen so gut wie gar nicht, denn in der Regel enthalten unsere Bedingungswerke eine Öffnungsklausel, die auch unbekannte Erreger einschließt.


Welche Erkenntnisse sind aus dieser Prozesslawine zu ziehen?

Dr. Stefan Ziegler: Die Versicherer haben durch ihre Haltung eindeutig einen Reputationsschaden erlitten und sich damit keinen Gefallen getan. Kaum ein Risikoträger hat von Anfang an klar kommuniziert, dass er für Schäden aus der Betriebsschließungsversicherung vollumfänglich leisten wird.


Sowohl der Erreger COVID-19 als auch eine Pandemie an sich ist künftig nicht mehr zu akzeptablen Bedingungen zu versichern. Wie hat die Unternehmensgruppe darauf reagiert?

Dr. Stefan Ziegler: Eine Pandemie dieses Ausmaßes hat niemand vorhersehen können, das ist richtig. Dennoch gilt: Pacta sunt servanda – wenn ich einen Vertrag abgeschlossen habe, der ein solches Geschehen versichert, dann muss ich ihn auch einhalten. Aber genauso richtig ist, dass künftig ein Pandemiegeschehen dieser Art nicht mehr zu versichern sein wird. Wir haben dennoch mit renommierten Versicherern das Gespräch gesucht, um unseren Kunden das bestmögliche Angebot für die Zukunft unterbreiten zu können. Und wir haben Risikoträger gefunden, die mit uns diesen exklusiven Weg gehen, sodass wir auch in Zukunft den Kunden ein passgenaues Angebot bieten können, das ihre individuellen Absicherungsbedürfnisse erfüllt. Es enthält ein umfangreiches Paket – inklusive einer Öffnungsklausel für neue, bislang unbekannte Krankheitserreger.


Was halten sie von dem Gedanken, ein Pandemie-Risiko ähnlich wie das Terrorrisiko in einer Partnerschaft zwischen privater Versicherungswirtschaft und öffentlicher Hand abzusichern?

Dr. Stefan Ziegler: Ein Pandemierisiko ist nicht allein privatwirtschaftlich abzusichern, daher wird eine solche Lösung wohl notwendig werden – ähnlich wie auch bei der Absicherung von Terrorrisiken. Ich kann aber die Versicherungswirtschaft nur davor warnen, zu sehr nach staatlicher Unterstützung zu verlangen. Denn das heißt auch, die eigene Leistungsfähigkeit zur Disposition zu stellen.


Zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Pandemie-Folgen hat der Staat unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel die bekannten „Rettungsschirme“ für Krankenhäuser. Von Versichererseite wurde daraufhin argumentiert, dass den Krankenhäusern also kein Schaden entstanden sein könnte, weil es ja die Kompensationen gab. Wie schätzen Sie das ein?

Dr. Stefan Ziegler: Insbesondere im Bereich der Krankenhäuser stellt sich dieses Thema deutlich komplizierter dar als man vielleicht zunächst denken könnte. Die Situation der einzelnen Krankenhäuser in dieser Pandemie ist sehr unterschiedlich und damit auch die Betroffenheit von einer Notlage. Entsprechend wird auch das Krankenhauszukunftsgesetz seine Wirkung nicht überall gleich entfalten. Für einige Häuser wird es Kompensationsmöglichkeiten eröffnen, für andere wird es kaum zur Lösung der problematischen Finanzsituation beitragen. Es ist also nicht die Pauschallösung für alle Fälle.


Als Makler ist unsere Unternehmensgruppe dauerhaft mandatierter Interessenvertreter der Kunden in allen Versicherungsangelegenheiten. Wie beurteilen Sie aus dieser Perspektive das Verhalten der Versicherer in der Krise allgemein?

Dr. Stefan Ziegler: Gerade in dieser Pandemiezeit hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, einen starken Interessenvertreter im Dauermandat an der Seite zu haben, der mit seinem Know-how die Kunden mit den Versicherern auf Augenhöhe bringt. Die Tatsache, dass wir im letzten Jahr zudem neue Kunden gewonnen und eine Kundenbindungsquote jenseits der 99 Prozent haben, stützt diese These deutlich. Im engen Schulterschluss mit unseren Kunden haben wir gemeinsam auch in schwierigsten Situationen vernünftige Lösungen entwickelt.


Welche Lektionen haben wir als Makler aus dieser Zeit gelernt?

Dr. Stefan Ziegler: In dieser außergewöhnlichen Situation hat sich hausintern die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit ganz besonders bewährt. Das ist eine wichtige Fähigkeit für die Zukunft. Außerdem war es sehr hilfreich, dass wir unsere Informationen über die Verbände der großen Träger in der Sozialwirtschaft wie Diakonie, Caritasverband oder Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband schnell zu den Kunden transportieren konnten. Dafür sind wir sehr dankbar.


Was sollte die Gesamtgesellschaft Ihrer Meinung nach als Ergebnis dieser Pandemie mitnehmen?

Dr. Stefan Ziegler: Ich denke, wir müssen die Erkenntnis mitnehmen, dass es eine Rückkehr zu einer alten Normalität nicht geben wird. Krankheiten wie COVID-19 werden vermutlich stärker zum Alltag gehören, ebenso wie Impfungen und andere Maßnahmen mehr. Wir werden sicherlich künftig anders leben als in der Vergangenheit. Werden wir uns beispielsweise zur Begrüßung künftig wieder die Hände schütteln? Ich denke nicht.


Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn eine neue Normalität Einzug hält?

Dr. Stefan Ziegler: Auf den ersten Besuch mit Familie oder Freunden in einem Biergarten – obwohl ich eigentlich gar kein Biertrinker bin.

Die Fragen stellte Thorsten Engelhardt aus der Unternehmenskommunikation.